Das Gericht der Europäischen Union hat am 20.10.2021 zu den Aktenzeichen T-240/18, T-296/18 die Klagen der Fluggesellschaft Polskie Linie Lotnicze „LOT“ gegen Beschlüsse der Kommission abgewiesen, mit denen Zusammenschlüsse in Form des Erwerbs bestimmter Vermögenswerte der Air-Berlin-Gruppe durch easyJet bzw. durch Lufthansa genehmigt werden.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 188/2021 vom 20.10.2021 ergibt sich:
Angesichts einer anhaltenden Verschlechterung ihrer finanziellen Lage führte die Fluggesellschaft Air Berlin plc im Jahr 2016 einen Umstrukturierungsplan durch. In diesem Rahmen schloss sie am 16. Dezember 2016 mit der Fluggesellschaft Deutsche Lufthansa AG (im Folgenden: Lufthansa) eine Vereinbarung über die Untervermietung mehrerer Flugzeuge samt Besatzung an diese.
Der Verlust der ihr durch einen ihrer Hauptgesellschafter in Form von Darlehen gewährten finanziellen Unterstützung zwang Air Berlin jedoch dazu, am 15. August 2017 Insolvenz anzumelden. Unter diesen Umständen sollte ein von den deutschen Behörden als Rettungsbeihilfe gewährtes und von der Kommission gebilligtes (Beschluss C(2017) 6080 final vom 4. September 2017 über die staatliche Beihilfe SA.48937 (2017/N) – Deutschland, Rettungsbeihilfe zugunsten von Air Berlin – ABl. 2017, C 400, S. 7) verbürgtes Darlehen das Unternehmen in die Lage versetzen, seine Tätigkeiten für einen Zeitraum von drei Monaten fortzusetzen, um in dieser Zeit insbesondere seine Vermögenswerte veräußern zu können.
Zu diesem Zweck wurden insbesondere zwei Vereinbarungen geschlossen. Zum einen sah eine am 13. Oktober 2017 geschlossene Vereinbarung unter anderem die Übernahme einer Tochtergesellschaft von Air Berlin, auf die zuvor mehrere Flugzeuge und deren Besatzungen übertragen werden sollten, sowie die von ihr gehaltenen Zeitnischen auf mehreren Flughäfen, darunter insbesondere Düsseldorf, Zürich, Hamburg, München, Stuttgart und Berlin-Tegel, durch Lufthansa vor. Zeitnischen sind Erlaubnisse für eine Fluggesellschaft, die für den Betrieb eines Luftverkehrsdienstes ab oder nach einem Flughafen erforderliche Flughafeninfrastruktur des betreffenden Flughafens an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit in vollem Umfang zu nutzen. Zum anderen wurde am 27. Oktober 2017 eine Vereinbarung mit der Fluggesellschaft easyJet plc geschlossen, die vor allem darauf abzielte, dieser von Air Berlin gehaltene Zeitnischen, insbesondere auf dem Flughafen Berlin-Tegel, zu übertragen. Air Berlin stellte am folgenden Tag ihre Tätigkeiten ein und wurde am 1. November 2017 durch Gerichtsbeschluss für insolvent erklärt.
Am 31. Oktober 2017 meldete Lufthansa im Hinblick auf die Befugnisse der Kommission im Bereich der Kontrolle von Zusammenschlüssen (es handelt sich hier um die Befugnisse nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen „EG-Fusionskontrollverordnung“ – ABl. 2004, L 24, S. 1) den mit der Vereinbarung vom 13. Oktober 2017 vorgesehenen Zusammenschluss bei der Kommission an. Am 7. November 2017 meldete easyJet in gleicher Weise die mit der Vereinbarung vom 27. Oktober 2017 vorgesehene Transaktion an (im Folgenden zusammen mit der von Lufthansa angemeldeten Transaktion: fragliche Zusammenschlüsse). Die Kommission stellte mit dem Beschluss C(2017) 9118 final vom 21. Dezember 2017 fest, dass der von Lufthansa angemeldete Zusammenschluss angesichts der von dieser eingegangenen Verpflichtungen mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, und mit dem Beschluss C(2017) 8776 final vom 12. Dezember 2017, dass der von easyJet angemeldete Zusammenschluss mit dem Binnenmarkt vereinbar sei (im Folgenden zusammen: angefochtene Beschlüsse). Im vorliegenden Fall hatte Lufthansa, um die Zweifel an der Vereinbarkeit des angemeldeten Zusammenschlusses im Zusammenhang mit ihrer Stellung auf dem Flughafen Düsseldorf zu zerstreuen, der Kommission nach Art. 6 Abs. 2 der EG-Fusionskontrollverordnung eine erhebliche Reduzierung der Anzahl der ihr im Rahmen dieses Zusammenschlusses zu übertragenden Zeitnischen vorgeschlagen.
Die Kommission war nämlich zu dem Schluss gelangt, dass die fraglichen Zusammenschlüsse keinen Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gäben. Bei dieser Gelegenheit definierte die Kommission – zum ersten Mal in Fällen, die Passagierflugdienste betreffen – die relevanten Märkte nicht nach Städtepaaren zwischen einem Ausgangs- und einem Zielort (im Folgenden: A&Z-Märkte). Sie stellte nämlich zum einen fest, dass Air Berlin ihre Tätigkeiten vor und unabhängig von diesen Zusammenschlüssen eingestellt habe, woraus sie den Schluss zog, dass sich Air Berlin aus allen A&Z-Märkten zurückgezogen habe, auf denen sie zuvor präsent gewesen sei. Zum anderen vertrat die Kommission die Auffassung, dass die fraglichen Zusammenschlüsse hauptsächlich die Übertragung von Zeitnischen beträfen, und stellte fest, dass die betreffenden Zeitnischen keinem bestimmten A&Z-Markt zugeordnet seien. Daher hielt sie es für vorzugswürdig, für die Zwecke ihrer Analyse alle A&Z-Märkte ab oder nach jedem der Flughäfen, denen diese Zeitnischen zugeordnet waren, zusammenzufassen. Dabei definierte sie die relevanten Märkte demnach als die Märkte für Passagierflugdienste ab und nach diesen Flughäfen. Anschließend prüfte die Kommission, ob die genannten Zusammenschlüsse nicht ein „erhebliches Hindernis für einen wirksamen Wettbewerb“ schaffen, indem sie easyJet bzw. Lufthansa die Möglichkeit und ein Interesse verleihen, den Zugang zu diesen Märkten abzuschotten.
Die Fluggesellschaft Polskie Linie Lotnicze „LOT“ (im Folgenden: Klägerin), die als unmittelbare Wettbewerberin der an den fraglichen Zusammenschlüssen beteiligten Unternehmen auftritt, ist der Ansicht, dass die von der Kommission vorgenommene Analyse sowohl hinsichtlich ihrer Methodik als auch hinsichtlich ihrer Ergebnisse fehlerhaft sei, und hat beim Gericht zwei Klagen auf Nichtigerklärung der beiden angefochtenen Beschlüsse erhoben.
Mit seinen Urteilen vom 20. Oktober 2021 weist das Gericht diese Klagen ab und erkennt damit insbesondere an, dass sich die Kommission darauf beschränken kann, die A&Z-Märkte ab und nach den Flughäfen, denen die Zeitnischen von Air Berlin zugeordnet waren, zusammen zu prüfen, statt jeden der A&Z-Märkte, auf denen Air Berlin und Lufthansa bzw. easyJet präsent waren, einzeln zu prüfen.
Würdigung durch das Gericht
An erster Stelle ist das Gericht, was den Klagegrund einer unzutreffenden Definition der relevanten Märkte angeht, zunächst der Auffassung, dass die Klägerin die inhaltliche Richtigkeit der Darstellung der fraglichen Zusammenschlüsse und ihres Kontexts durch die Kommission vergeblich in Frage zu stellen versucht. In diesem Zusammenhang weist das Gericht insbesondere darauf hin, dass die Kommission zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Tätigkeiten von Air Berlin vor den fraglichen Zusammenschlüssen und unabhängig davon eingestellt worden waren und dass Air Berlin folglich auf keinem A&Z-Markt mehr präsent war. Sodann legt das Gericht dar, dass die Kommission, da die Zeitnischen von Air Berlin keinem A&Z-Markt zugeordnet waren, zu Recht darauf hingewiesen hat, dass diese Zeitnischen von Lufthansa bzw. easyJet auf anderen A&Z-Märkten als denen, auf denen Air Berlin tätig war, genutzt werden könnten. Folglich war es in diesem konkreten Fall, anders als bei Zusammenschlüssen von noch tätigen Fluggesellschaften, nicht sicher, dass sich die fraglichen Zusammenschlüsse in irgendeiner Weise auf den Wettbewerb auf den A&Z-Märkten auswirken würden, auf denen Air Berlin vor der Einstellung ihrer Tätigkeiten präsent war. Schließlich stellt das Gericht fest, dass die Klägerin keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, dass eine Einzelprüfung der von ihr identifizierten A&Z-Märkte die Feststellung eines erheblichen Hindernisses für einen wirksamen Wettbewerb hätte ermöglichen können, das anhand der Marktdefinition der Kommission nicht zu erkennen war.
An zweiter Stelle weist das Gericht in Bezug auf den Klagegrund eines offensichtlichen Fehlers bei der Beurteilung der Auswirkungen der fraglichen Zusammenschlüsse zunächst darauf hin, dass die Kommission bei der Ausübung der ihr durch die EG-Fusionskontrollverordnung übertragenen Befugnisse über ein gewisses Ermessen verfügt, insbesondere bei den komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen, die sie insoweit vorzunehmen hat. Bei der Kontrolle der Ausübung dieses Ermessens durch den Unionsrichter ist daher der der Kommission eingeräumte Wertungsspielraum zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht der Ansicht, dass die Prüfung der Auswirkungen der fraglichen Zusammenschlüsse auf die Märkte für Passagierflugdienste ab und nach den betreffenden Flughäfen keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler ergeben hat, insbesondere in Anbetracht des geringen Auslastungsgrads dieser Flughäfen und der begrenzten Auswirkungen dieser Zusammenschlüsse auf die Erhöhung der von Lufthansa und easyJet gehaltenen Zeitnischenanteile. Was insbesondere den von Lufthansa angemeldeten Zusammenschluss anbelangt, kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Kommission einen offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung der Auswirkungen der Vereinbarung vom 16. Dezember 2016 begangen habe, da diese Vereinbarung es Lufthansa bereits erlaubte, Flugzeuge und deren Besatzung für einen Zeitraum von sechs Jahren zu betreiben, bevor Lufthansa sie im Rahmen dieses Zusammenschlusses endgültig erwarb. Was schließlich den von easyJet angemeldeten Zusammenschluss betrifft, so stellt das Gericht fest, dass die Zeitnischen für die Erbringung von Passagierflugdiensten erforderlich sind. Daraus schließt es, dass eine „vertikale“ Beziehung zwischen der Zuweisung dieser Zeitnischen und der Erbringung dieser Dienstleistungen besteht und dass die Kommission daher zu Recht auf die Leitlinien für „nichthorizontale“ Zusammenschlüsse (Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 2008, C 265, S. 6). Außerdem weist das Gericht die Rüge der Klägerin betreffend einen Verstoß gegen diese Leitlinien unter Hinweis darauf zurück, dass der Besitz einer erheblichen Marktmacht auf einem der betroffenen Märkte für sich genommen nicht ausreicht, um das Vorliegen von Wettbewerbsproblemen nachzuweisen) zurückgegriffen hat.
An dritter Stelle weist das Gericht die Rügen zurück, wonach die von Lufthansa im Rahmen des von ihr angemeldeten Zusammenschlusses eingegangenen Verpflichtungen unzureichend gewesen seien und für den von easyJet angemeldeten Zusammenschluss keine derartigen Verpflichtungen eingegangen worden seien, da die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass diese Zusammenschlüsse offensichtlich geeignet seien, ein erhebliches Hindernis für einen wirksamen Wettbewerb zu bilden. Aus diesem Grund hält es auch die Rügen der Klägerin für unbegründet, dass die Kommission etwaige Effizienzgewinne, die sich aus diesen Zusammenschlüssen hätten ergeben können, nicht berücksichtigt habe.
An vierter Stelle legt das Gericht dar, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass die finanzielle Unterstützung, die Air Berlin durch die Rettungsbeihilfe erhalten hat, zu den Vermögenswerten gehörte, die im Rahmen der fraglichen Zusammenschlüsse auf easyJet bzw. Lufthansa übertragen wurden, und weist daher die Rügen zurück, dass die Kommission diese Beihilfe bei ihrer Prüfung hätte berücksichtigen müssen. Was den von der Klägerin in einer ihrer Klagen ebenfalls geltend gemachten Verstoß gegen Art. 8a Abs. 2 der Verordnung Nr. 95/93 (genauer gesagt handelt es sich um die Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates vom 18. Januar 1993 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft – ABl. 1993, L 14, S. 1 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 545/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 – ABl. 2009, L 167, S. 24) angeht, so stellt das Gericht zudem fest, dass die Kommission für die Anwendung dieser Bestimmung nicht zuständig war.
Nachdem es an letzter Stelle den von der Klägerin geltend gemachten Begründungsmangel verneint und damit alle in den beiden Klagen vorgebrachten Klagegründe zurückgewiesen hat, beschließt das Gericht, die beiden Klagen abzuweisen, ohne dass unter diesen Umständen über ihre Zulässigkeit zu entscheiden wäre.