Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 24. September 2021 zum Aktenzeichen 1 BvQ 103/21 entschieden, dass im Betreuungsverfahren die Rechte des Betroffenen zu wahren sind.
Wie sich aus einem Schreiben des Amtsgerichts an den Antragsteller ergibt, hat ein Dritter bei dem Amtsgericht die Bestellung eines Betreuers für den Antragsteller mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge angeregt. Das Betreuungsgericht leitete daraufhin ein Betreuungsverfahren ein.
Mit angegriffenem Beschluss vom 10. September 2021 beauftragte das Amtsgericht einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung. Mit Schreiben vom selben Tag informierte das Amtsgericht den Antragsteller erstmals über die Einleitung des Betreuungsverfahrens und die Beauftragung des Sachverständigen. Darüber hinaus wies das Gericht darauf hin, dass es den Antragsteller vor der Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers persönlich anhören werde. Eine Aufforderung zur Stellungnahme zur Einleitung des Betreuungsverfahrens und Bestellung eines Sachverständigengutachtens enthält das Schreiben nicht.
Mit Schreiben vom 15. September 2021 informierte der gerichtlich bestellte Sachverständige den Antragsteller darüber, dass er den Antragsteller am 7. Oktober 2021 zum Zwecke der Begutachtung aufsuchen und untersuchen werde.
Der Antragsteller legte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Beschwerde ein. Er sehe es als „eine Unverschämtheit sondergleichen“ an, dass gegen seinen Willen und auf Anregung Dritter ärztliche Untersuchungen angeordnet werden, ohne ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme einzuräumen. Er werde keine Untersuchungen an sich vornehmen lassen und erwarte die „Einlassungen (des Gerichts) bis zum 01.10.2021, 12:00 Uhr“.
Für das Gericht erwächst aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor dem Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde. Maßgebend für diese Pflicht des Gerichts ist der Gedanke, dass die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit haben müssen, die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör fordert, dass das erkennende Gericht die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht.
Der angegriffene Beschluss genügt diesen Voraussetzungen nicht. Der Antragsteller wurde zwar schriftlich von der Einleitung eines Betreuungsverfahrens und der beabsichtigten Untersuchung informiert; dies jedoch mit Schreiben von dem Tag, an dem das Gericht die Untersuchung durch den Sachverständigen bereits anordnete. Eine Möglichkeit, auf diese Entscheidung des Gerichts vorab effektiv Einfluss zu nehmen, wurde dem Antragsteller damit verwehrt. Die nachträgliche Information über den Erlass des angegriffenen Beschlusses ist nicht geeignet, den Gehörsverstoß zu heilen. Denn jedenfalls für den juristischen Laien geht aus dem Schreiben des Gerichts nicht hervor, dass eine Möglichkeit zur Stellungnahme noch vor der Untersuchung durch den Sachverständigen besteht. Vielmehr verweist das Gericht den Antragsteller ausdrücklich auf die noch zu erfolgende persönliche Anhörung, wobei aus der Formulierung und dem Zusammenhang mit dem vorangegangenen Absatz des Schreibens der Schluss gezogen werden kann, dass die Anhörung erst nach der Erstattung des Gutachtens erfolgen soll. Zudem ist es dem Antragsteller allein auf der Grundlage des Schreibens des Gerichts nicht möglich, zu der Anregung einer Betreuerbestellung substantiiert Stellung zu nehmen, da er die Gründe, die dem Gericht für die Anregung einer Betreuung genannt wurden, nicht kennt.
Eine vorherige Anhörung ist hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil in dem Beschluss noch keine zwangsweise Untersuchung und Vorführung des Antragstellers angeordnet wurde. Denn aus dem Beschluss des Amtsgerichts ergibt sich nicht, dass die Mitwirkung an der Erstellung des Gutachtens für den Antragsteller freiwillig ist. Ein rechtsunkundiger Bürger wird, wenn eine solche Beauftragung im Wege des Beschlusses erfolgt, davon ausgehen, dass er zur Mitwirkung bei der Untersuchung verpflichtet ist. Bei einer Verweigerung der freiwilligen Untersuchung muss der Betroffene auch damit rechnen, aufgrund eines erneuten Beschlusses zwangsweise vorgeführt und untersucht zu werden, § 283 Abs. 1 FamFG. Im Übrigen hat bereits die Beauftragung eines Gutachters zur Prüfung einer möglichen Betreuungsbedürftigkeit eine stigmatisierende Wirkung, wenn Dritte von ihr Kenntnis erlangen. Ein Rechtsmittel gegen die Beauftragung des Gutachters ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen. Insofern erhält die vor der Beauftragung zu erfolgende Anhörung des Betroffenen zum Schutz seiner Rechte besondere Bedeutung.