Das Bundesverwaltungsgericht hat am 27.09.2021 zum Aktenzeichen 8 C 30.20 und 8 C 29.20 entschieden, dass die verfassungsrechtliche Pflicht des Landkreises, bei der Erhebung der Kreisumlage den Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und gleichrangig mit dem eigenen zu berücksichtigen, verletzt ist, wenn der Kreistag über einen von der Kreisverwaltung vorgeschlagenen Umlagesatz beschließt, ohne dass ihm zumindest die zugrunde gelegten Bedarfsansätze der betroffenen Gemeinden vorlagen.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 59/2021 vom 28.09.2021 ergibt sich:
Die Klägerinnen, kreisangehörige Kommunen im Gebiet des jeweils beklagten Landkreises, wenden sich gegen die Festsetzung der Kreisumlage für das Jahr 2017. In beiden Verfahren hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen. Die Umlagefestsetzung verletze jeweils das Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Kommunen. Danach müssten die Daten zum Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden den Kreistagsmitgliedern vor der Beschlussfassung über die Haushaltssatzung in geeigneter Weise – etwa tabellarisch – aufbereitet zur Kenntnis gegeben werden. Das sei jeweils nicht geschehen. Die ausschließlich verwaltungsinterne Ermittlung und Bewertung des Finanzbedarfs genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
Während des Revisionsverfahrens hat der Landesgesetzgeber eine Regelung erlassen, die eine Änderung der Haushaltssatzung zur Behebung von Fehlern – mit bestimmten Ausnahmen – auch nach Ablauf des Haushaltsjahres zulässt. Daraufhin haben die Kreistage beider Beklagten den Kreisumlagesatz für 2017 jeweils vorsorglich – unverändert – neu beschlossen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Revisionen der Beklagten stattgegeben, die Berufungsurteile aufgehoben und beide Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die ursprünglichen Haushaltssatzungen das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht wegen Verstößen gegen daraus abzuleitende Verfahrenspflichten verletzen. Nach Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) muss der Landkreis bei der Festsetzung der Kreisumlage den Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden ermitteln und ihn gleichrangig mit dem eigenen berücksichtigen. Außerdem muss er seine Entscheidung offenlegen, damit sie von den Gemeinden und den Gerichten überprüft werden kann. Zwar obliegt die nähere Ausgestaltung des Verfahrens dem Landesgesetzgeber und, soweit gesetzliche Regelungen fehlen, den Landkreisen selbst.
Dabei müssen jedoch die verfassungsrechtlichen Grenzen beachtet werden. Sie sind überschritten, wenn der nach Landesrecht für die Umlagefestsetzung zuständige Kreistag nur über einen von der Kreisverwaltung vorgeschlagenen Umlagesatz beschließt, ohne dass ihm zumindest die ermittelten Bedarfsansätze vorlagen. Bei einem solchen Vorgehen wird auch die Offenlegungspflicht nicht gewahrt.
Bei der Entscheidung im Revisionsverfahren sind jedoch die Rechtsänderungen nach Ergehen der Berufungsurteile zu berücksichtigen. Ob die angegriffenen Bescheide von den vorsorglich erlassenen neuen, rückwirkenden Satzungsbestimmungen gedeckt werden, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht abschließend beurteilen. Eine Rechtfertigung durch die neuen Satzungsbeschlüsse scheitert nicht schon daran, dass eine landesgesetzliche Ermächtigung zur rückwirkenden Heilung mit Bundesverfassungsrecht unvereinbar wäre. Die Ermächtigung enthält aber eine mehrdeutige Ausnahmeregelung, deren Auslegung das Oberverwaltungsgericht zu klären hat.