Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat am 27.09.2021 zum Aktenzeichen StGH 6/20 in dem Organstreitverfahren der Mitglieder des Niedersächsischen Landtages Bothe und Emden (Antragsteller) gegen die Präsidentin des Niedersächsischen Landtages (Antragsgegnerin) die Anträge der Abgeordneten Bothe und Emden verworfen, mit denen diese sich gegen Anordnungen der Präsidentin des Niedersächsischen Landtages gewandt haben, eine Mund-Nasen-Bedeckung in den Gebäuden des Niedersächsischen Landtages zu tragen.
Aus der Pressemitteilung des Nds. StGH vom 27.09.2021 ergibt sich:
Gegenstand des Organstreitverfahrens sind drei Allgemeinverfügungen vom 26. Oktober 2020, vom 29. Januar 2021 und vom 30. April 2021, mit denen die Antragsgegnerin die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den Gebäuden des Niedersächsischen Landtages, insbesondere im Plenarsaal, angeordnet hat. Die Anordnungen vom 26. Oktober 2020 und vom 29. Januar 2021 sind zwischenzeitlich außer Kraft getreten, die Anordnung vom 30. April 2021 ist bis zum 30. September 2021 befristet.
Die Antragsteller, die Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag sind, sehen sich durch die Anordnungen in ihrer parlamentarischen Arbeit beeinträchtigt und rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Satz 2 NV, Art. 14 NV sowie Art. 2 Abs. 2 GG.
Dem ist der Niedersächsische Staatsgerichtshof nicht gefolgt.
Wesentliche Erwägungen:
Soweit sich die Antragsteller mit ihren Anträgen zu 1. und 2. weiterhin gegen die außer Kraft getretenen Anordnungen vom 26. Oktober 2020 und vom 29. Januar 2021 wenden, fehlt ihnen das auch im Organstreitverfahren notwendige allgemeine Rechtsschutzinteresse. Zwar lässt im Organstreitverfahren die – hier eingetretene – Erledigung das Rechtsschutzinteresse nicht generell entfallen. Alle hier streitigen Rechtsfragen können aber im Zusammenhang mit der dritten Anordnung der Antragsgegnerin vom 30. April 2021 geklärt werden, so dass es der beiden übrigen Anträge nicht mehr bedurfte.
Der gegen die Anordnung vom 30. April 2021 gerichtete Antrag ist jedenfalls insoweit unzulässig, als die Antragsteller eine Verletzung des Anhörungsrechts, eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG und eine Verletzung von Art. 14 NV geltend machen. Es fehlt insoweit an der Antragsbefugnis.
Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte – hier in Gestalt der von den Antragstellern angeführten Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 GG – vermitteln im verfassungsrechtlichen Organstreitverfahren, in dem nur die Verletzung organschaftlicher Rechte geltend gemacht werden kann, keine rügefähige Rechtsposition.
Eine mögliche Verletzung von Art. 14 NV ist ebenfalls nicht dargelegt. Art. 14 Satz 1 NV regelt, dass ein Mitglied des Landtages zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen seiner Äußerung, die es im Landtag, in einem Ausschuss oder in einer Fraktion getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder anderweitig außerhalb des Landtages zur Verantwortung gezogen werden darf. Die Antragsteller sehen eine Verletzung ihrer Indemnität darin, dass ihnen bei einer Weigerung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, eine Ordnungsmaßnahme, wie z.B. ein Ordnungsruf oder sogar ein Sitzungsausschluss, drohe. Das Sanktionsverbot aus Art. 14 Satz 1 NV gilt hingegen nur für Maßnahmen „außerhalb des Landtages“.
Die Antragsteller werden durch die von der Antragsgegnerin angeordnete Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung offensichtlich nicht in ihren organschaftlichen Rechten aus Art. 12 Satz 2 NV verletzt.
Art. 12 Satz 2 NV legt fest, dass die Mitglieder des Landtages an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Hieraus ergibt sich das subjektive Recht eines jeden Abgeordneten, sein Mandat innerhalb der Grenzen der Verfassung ungehindert auszuüben (freies Mandat).
Soweit die Antragsteller sich durch die Anordnung in ihrem Rede- und Äußerungsrecht verletzt sehen, fehlt es bereits an einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung. Die streitgegenständliche Anordnung sieht für alle Fälle der Wahrnehmung des verfassungsrechtlich garantierten Rederechts Ausnahmen vor. Es ist auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass das Tragen einer Maske, deren Auswahl im Belieben der Antragsteller steht, die Lautstärke eines Zwischenrufs so weit dämpfen könnte, dass – wie die Antragsteller geltend machen – dieser dadurch nicht mehr wahrzunehmen ist.
Die Antragsteller tragen weiter vor, die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auf den Verkehrsflächen des Landtages beeinträchtige ihre Kommunikationsbeziehung zu den Wählern und könne sie davon abhalten, ihre ablehnende Haltung gegen die Coronapolitik der Regierung zu äußern bzw. durch die Weigerung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, öffentlich kenntlich zu machen.
Soweit darin ein Eingriff in die freie Mandatsausübung liegt, erweist sich dieser als gerechtfertigt.
Der Staatsgerichtshof hat keine Zweifel an der Eignung der auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 2 Satz 1 NV i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 2, § 28b Abs. 5 Infektionsschutzgesetz angeordneten Maskenpflicht.
Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist auch offensichtlich erforderlich und angemessen. Mildere Mittel, also Maßnahmen gleicher Wirksamkeit bei geringerer Belastungswirkung, sind nicht ersichtlich. Auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gegeben. Bei der Anordnung einer Maskenpflicht in Innenräumen handelt es sich um eine Maßnahme mit – nach dem Stand der Wissenschaft – hoher Wirksamkeit bei geringer Belastungswirkung. Insbesondere sind nach derzeitiger Erkenntnislage ernsthafte Gesundheitsgefahren durch das (kurzfristige) Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auf den Verkehrsflächen des Landtages fernliegend und von den Antragstellern nicht einmal im Ansatz nachvollziehbar dargelegt.