Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25.02.2021 zum Aktenzeichen BVerwG 3 C 17.19 entschieden, dass die für die Erteilung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis erforderliche Abgrenzbarkeit des betreffenden Bereichs der Heilkunde einen vom Gesetzgeber geschaffenen normativen Rahmen des Berufsbilds nicht voraussetzt.
Der Kläger begehrt eine auf den Bereich der Chiropraktik beschränkte – sektorale – Heilpraktikererlaubnis. Die Behörde lehnte dies ab. Die Chirotherapie bzw. Chiropraktik sei in gegenständlicher Hinsicht nicht hinreichend abgrenzbar. Die Erteilung einer eingeschränkten Erlaubnis komme nicht in Betracht, weil ein Patient nicht wissen und beurteilen könne, welche Behandlungstätigkeiten zum Erlaubnisbereich eines auf den Bereich der Chirotherapie beschränkten Heilpraktikers gehörten.
Nach der Rechtsprechung begründen § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Heilpraktikergesetz einen Anspruch auf Erteilung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis. Voraussetzung hierfür ist, dass die beabsichtigten Behandlungsmethoden ohne ärztliche Verordnung heilkundliche Tätigkeiten sind, die ohne Erlaubnis nicht ausgeübt werden dürfen, und dass die Heilkunde nur auf einem abgrenzbaren Gebiet ausgeübt werden soll, dessen Tätigkeitsumfang hinreichend ausdifferenziert ist.
Zur Annahme eines hinreichend abgrenzbaren Bereichs der Heilkunde ist ein vom nationalen Gesetzgeber geschaffener normativer Rahmen, der eindeutig abgrenzt, ob eine bestimmte Maßnahme zum betreffenden Bereich zählt, nicht zwingend erforderlich. Der entgegenstehende Rechtssatz des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht.
Auch wenn die Zuerkennung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis kein gesetzlich fixiertes Berufsbild voraussetzt, erfordert die Anerkennung eines abgrenzbaren Bereichs der Heilkunde, dass sich der Umfang der erlaubten Tätigkeit anhand eines in vergleichbarer Weise fest umrissenen, abgrenzbaren Berufsbilds bestimmen lässt. In der Praxis dürfen keine Unklarheiten darüber bestehen, ob eine konkrete Behandlungsmaßnahme zu dem betreffenden Tätigkeitsgebiet zählt oder nicht; es muss eindeutig sein, welche Behandlungsmethoden und Therapieformen von dem Gebiet umfasst werden und zur Behandlung welcher Krankheiten, Leiden und Beschwerden sie eingesetzt werden. Nur dann ist die Befreiung von der in § 2 Abs. 1 und § 7 HeilprG i.V.m. § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HeilprG vorgesehenen allgemeinen Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten gerechtfertigt.
Wie der Kläger zutreffend ausführt, scheitert die Annahme eines eigenständigen Heilkundebereichs nicht bereits daran, dass die WHO-Richtlinien unterschiedliche Modelle zum Erwerb der für chiropraktische Behandlungen erforderlichen Qualifikation vorsieht. Das Begehren des Klägers war und ist erkennbar darauf gerichtet, eine Erlaubnis für die selbständige Tätigkeit eines Chiropraktors mit einer akademischen Ausbildung im Sinne der Kategorie I der WHO-Richtlinien zu erhalten. Auf ebenjene Qualifikation und das hiermit verbundene Berufsbild hat der Kläger stets Bezug genommen. Ob er die hierfür erforderlichen Voraussetzungen bereits ohne Kenntnisüberprüfung erfüllt, ist dabei ohne Belang. Diese Frage ist der Entscheidung nachgelagert, ob es für das Berufsbild eines „Chiropraktors“ einen ausdifferenzierten und abgrenzbaren Bereich der Heilkunde überhaupt gibt. Die entsprechende Überprüfung des Klägers war im Übrigen nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, weil der Kläger insoweit kein Rechtsmittel eingelegt hatte und das verwaltungsgerichtliche Urteil damit rechtskräftig war, soweit es die Klage auf unmittelbare Erteilung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis abgewiesen hat.
Dass die WHO-Richtlinien auch andere Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Chiropraktik vorsehen, bedeutet daher nicht, dass dem Chiropraktor der Kategorie I die Qualität eines eigenständigen Berufsbilds abgesprochen werden müsste. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ist in Würdigung der WHO-Richtlinien – soweit ersichtlich durchgehend – vielmehr zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Tätigkeit eines Chiropraktors um ein abgrenzbares Gebiet der Heilkunde handele.
Dieser Einordnung entspricht, dass die Chiropraktik international vielfach als eigenständiger Berufszweig Anerkennung gefunden hat und in vielen Ländern, auch EU-Mitgliedstaaten, staatliche Regulierungen zu Ausbildung und Berufsausübung erlassen worden sind. Auch in Deutschland gibt es nach den Feststellungen des Berufungsurteils einen vom Freistaat Sachsen anerkannten Studiengang an der „Chiropraktik Akademie CPA“.
Ausgehend von der angestrebten Behandlungstätigkeit eines Chiropraktors geht schließlich der Einwand ins Leere, dass es im Bundesgebiet neben der Deutschen Chiropraktoren-Gesellschaft e.V. (DCG) auch andere Berufsverbände für „Chiropraktiker“ mit abweichenden und weniger anspruchsvollen Anforderungen an Ausbildung, Prüfung und Qualifikation gebe. Aus dem Vorhandensein derartiger Berufsverbände und Ausbildungen folgt nicht zwangsläufig, dass es für das Tätigkeitsfeld des akademisch ausgebildeten Chiropraktors im Sinne der Kategorie I der WHO-Richtlinien kein eigenes Berufsbild geben könnte. Im Übrigen kann dem Ausbildungsniveau als solchem keine unmittelbare Aussage über die Abgrenzbarkeit des betreffenden Heilkundebereichs entnommen werden. Vielmehr lassen derartige Betrachtungen von Ausbildungsinhalten und Qualifikationsanforderungen nur mittelbare Rückschlüsse zu, weil sich aus ihnen die notwendigen Kenntnisse für die vermittelten Behandlungsmethoden ergeben.