Der Europäische Gerichtshof hat am 09.09.2021 zum Aktenzeichen C-783/19 die in der Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse vorgesehenen Voraussetzungen für den Schutz von Erzeugnissen, die von einer geschützten Ursprungsbezeichnung erfasst sind, erläutert und entschieden, dass diese Bezeichnungen gegen verbotene Handlungen geschützt sind, die sich sowohl auf Erzeugnisse als auch auf Dienstleistungen beziehen.
Aus der Pressemittelung des EuGH Nr. 154/2021 vom 09.09.2021 ergibt sich:
GB besitzt Tapas-Bars in Spanien und verwendet das Zeichen CHAMPANILLO zur Bezeichnung und zur Bewerbung seiner Gastronomiebetriebe. Zu Werbezwecken verwendet er eine grafische Unterstützung in Form von zwei Gläsern, die mit einem Schaumgetränk gefüllt sind. Das Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne (CIVC), eine Einrichtung zum Schutz der Interessen der Erzeuger von Champagner, erhob Klage vor den spanischen Gerichten, um die Verwendung des Begriffs champanillo (der im Spanischen „kleiner Champagner“ bedeutet) zu verbieten, da die Verwendung dieses Zeichens die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) „Champagne“ verletze.
Die Audiencia Provincial de Barcelona (Provinzgericht Barcelona, Spanien), bei der Berufung eingelegt wurde, ersucht den Gerichtshof um Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften zum Schutz von durch eine g.U. erfassten Erzeugnissen, wenn der Begriff champanillo im geschäftlichen Verkehr nicht zur Bezeichnung von Erzeugnissen, sondern von Dienstleistungen verwendet wird.
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass im vorliegenden Fall die Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse1 und insbesondere die Bestimmung2 anwendbar ist, die Handlungen erfasst, die den geschützten Namen selbst weder direkt noch indirekt verwenden, sondern ihn so nahelegen, dass der Verbraucher veranlasst wird, eine hinreichend enge Verbindung mit diesem Namen herzustellen.
Erstens entscheidet der Gerichtshof, dass die Verordnung g.U. gegen Handlungen schützt, die sich sowohl auf Erzeugnisse als auch auf Dienstleistungen beziehen. Die Verordnung zielt nämlich im Wesentlichen darauf ab, den Verbrauchern die Gewähr dafür zu bieten, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse, die mit einer eingetragenen geografischen Angabe versehen sind, aufgrund ihrer Herkunft aus einem bestimmten geografischen Gebiet bestimmte besondere Merkmale aufweisen und demnach eine auf ihrer geografischen Herkunft beruhende Qualitätsgarantie bieten. Damit soll es den Landwirten, die sich zu echten Qualitätsanstrengungen bereit erklärt haben, ermöglicht werden, als Gegenleistung ein höheres Einkommen zu erzielen, und verhindert werden, dass Dritte missbräuchlich Vorteile aus dem Ruf ziehen, der sich aus der Qualität dieser Erzeugnisse ergibt.
Die Verordnung führt somit einen weiten Schutz ein, der sich auf alle Verwendungen, die sich den Ruf zunutze machen, den von einer dieser geografischen Angaben erfasste Erzeugnisse genießen, erstrecken soll. Unter diesen Umständen stünde eine Auslegung von Art. 103 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung, die keinen Schutz einer g.U. zuließe, wenn das streitige Zeichen eine Dienstleistung bezeichnet, nicht nur im Widerspruch zum weiten Umfang, der dem Schutz eingetragener geografischer Angaben beigemessen wird, sondern würde es auch nicht ermöglichen, dieses Schutzziel vollständig zu erreichen, da eine unbefugte Ausnutzung des Ansehens eines unter eine g.U. fallenden Erzeugnisses auch dann erfolgen kann, wenn die Praxis, auf die sich diese Bestimmung bezieht, eine Dienstleistung betrifft.
Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass die Verordnung keinen Hinweis enthält, weder dahin, dass sich der Schutz gegen Anspielung rein auf Fälle beschränkt, in denen die mit der g.U. gekennzeichneten Erzeugnisse und die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, für die das streitige Zeichen verwendet wird, „vergleichbar“ oder „ähnlich“ sind, noch dahin, dass sich dieser Schutz auf Fälle erstreckt, in denen sich das Zeichen auf Erzeugnisse oder Dienstleistungen bezieht, die den mit der g.U. geschützten Erzeugnissen unähnlich sind.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfasst der Begriff „Anspielung“ eine Fallgestaltung, in der das zur Bezeichnung eines Erzeugnisses verwendete Zeichen einen Teil einer geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) oder einer g.U. in der Weise einschließt, dass der Verbraucher durch den Namen des fraglichen Erzeugnisses veranlasst wird, gedanklich einen Bezug zu der Ware herzustellen, die diese Angabe oder diese Bezeichnung trägt.
Außerdem kann bei Erzeugnissen, die ähnlich aussehen, eine Anspielung auf eine g.g.A. oder eine g.U. vorliegen, wenn eine klangliche und visuelle Ähnlichkeit zwischen der g.g.A. oder der g.U. und dem angegriffenen Zeichen besteht. Jedoch stellen weder der teilweise Einschluss einer g.U. in ein Zeichen, mit dem Erzeugnisse oder Dienstleistungen versehen sind, die nicht von dieser Bezeichnung erfasst werden, noch die Feststellung einer klanglichen und visuellen Ähnlichkeit des Zeichens mit dieser Bezeichnung zwingende Voraussetzungen dar, um das Vorliegen einer Anspielung auf diese Bezeichnung nachzuweisen. Die Anspielung kann sich nämlich auch aus einer „inhaltlichen Nähe“ zwischen dem geschützten Namen und dem in Rede stehenden Zeichen ergeben.
Der Gerichtshof stellt fest, dass es im Hinblick auf den Begriff „Anspielung“ entscheidend darauf ankommt, ob der Verbraucher durch einen streitigen Namen veranlasst wird, einen unmittelbaren gedanklichen Bezug zu der von der g.U. erfassten Ware herzustellen, was das nationale Gericht zu prüfen hat. Dabei hat es gegebenenfalls den teilweisen Einschluss einer g.U. in den streitigen Namen, eine klangliche und/oder visuelle Ähnlichkeit dieses Namens mit der g.U. oder eine inhaltliche Nähe des Namens zu der g.U. zu berücksichtigen.
Für die Feststellung einer Anspielung kommt es vor allem darauf an, dass der Verbraucher einen Zusammenhang zwischen dem zur Bezeichnung des fraglichen Erzeugnisses verwendeten Ausdruck und der g.g.A. herstellt. Dabei muss es sich um einen hinreichend unmittelbaren und eindeutigen Zusammenhang handeln. Eine Anspielung kann daher nur durch eine umfassende Beurteilung des nationalen Gerichts unter Einbeziehung aller relevanten Umstände der Sache festgestellt werden.
Folglich setzt der Begriff „Anspielung“ im Sinne der Verordnung nicht voraus, dass das von der g.U. erfasste Erzeugnis und das von dem angegriffenen Namen erfasste Erzeugnis oder die von diesem Namen erfasste Dienstleistung identisch oder ähnlich sind.
Im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer solchen Anspielung ist auf die Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Nach der Rechtsprechung verlangt der effektive und einheitliche Schutz der im gesamten Unionsgebiet geschützten Namen, Umstände nicht zu berücksichtigen, die das Vorliegen einer Anspielung nur für die Verbraucher eines Mitgliedstaats ausschließen können. Nichtsdestoweniger kann das Vorliegen einer Anspielung auch nur im Hinblick auf die Verbraucher eines Mitgliedstaats beurteilt werden, damit der vorgesehene Schutz zum Tragen kommt.
Der Gerichtshof stellt fest, dass Art. 103 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine „Anspielung“ im Sinne dieser Bestimmung zum einen nicht voraussetzt, dass das unter eine g.U. fallende Erzeugnis und das von dem streitigen Zeichen erfasste Erzeugnis oder die von diesem erfasste Dienstleistung identisch oder ähnlich sind, und zum anderen dann gegeben ist, wenn die Verwendung eines Namens beim normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Durchschnittsverbraucher einen hinreichend unmittelbaren und eindeutigen gedanklichen Zusammenhang zwischen diesem Namen und der g.U. herstellt.
Das Bestehen eines solchen Zusammenhangs kann sich aus mehreren Umständen ergeben, insbesondere dem teilweisen Einschluss der geschützten Bezeichnung, der klanglichen und visuellen Nähe der beiden Namen und der daraus resultierenden Ähnlichkeit und, selbst wenn diese Umstände nicht vorliegen, aus der inhaltlichen Nähe zwischen der g.U. und dem in Rede stehenden Namen oder einer Ähnlichkeit zwischen den unter diese g.U. fallenden Erzeugnissen und den von diesem Namen erfassten Erzeugnissen oder Dienstleistungen. Im Rahmen dieser Beurteilung hat die Audiencia Provincial de Barcelona alle relevanten Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Verwendung des in Rede stehenden Namens zu berücksichtigen.
1 Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 671, berichtigt u. a. im ABl. 2016, L 130, S. 18).
2 Art. 103 Abs. 2 Buchst. b.