Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 25. Mai 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 1719/16 entschieden, dass das Gericht vor dem Erlass eines Urteils entgegen der Beweislastannahme zulasten einer Partei vor einer Änderung einen Hinweis erteilen muss.
Das Amtsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführerin nicht teilnahm. Laut Sitzungsprotokoll wies das Amtsgericht darauf hin, dass die Beweislast für den dargelegten Mangel nach vorläufiger Würdigung beim Kläger liege. Aufgrund der Art und Weise des vorgetragenen Mangels scheine dieser nachträglich aufgetreten zu sein. Die Beweislastumkehr des § 476 BGB greife in diesen Fällen nicht.
Das Amtsgericht Nördlingen gab mit Endurteil vom 24. Mai 2016 der Klage statt und verurteilte die Beschwerdeführerin in der Hauptsache zur Rückzahlung des Kaufpreises. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Folge erklärten Rücktritts zu. Ein Mangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (Lieferung des Laptops) liege nach Überzeugung des Gerichts vor. Dies ergebe sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten. Gemäß § 476 BGB liege die Beweislast für den Zeitpunkt des Vorliegens des Mangels bei der Beschwerdeführerin als Unternehmerin. Allerdings habe der Sachverständige den Zeitpunkt des Eindringens der Flüssigkeit nicht ermitteln können. Diesbezüglich liege die Beweislast jedoch bei der Beschwerdeführerin. § 476 Satz 2 BGB greife nicht. Nach jüngster Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müsse der Kläger als Verbraucher nur das Vorliegen einer binnen sechs Monaten seit Lieferung aufgetretenen Vertragswidrigkeit beweisen, nicht aber deren Grund. Dies sei vorliegend geschehen. Der Flüssigkeitseintritt und die damit einhergehenden Probleme an der Hardware seien durch das Sachverständigengutachten bewiesen. In Form dieser vorgenannten Beweislastregelung müsse die Beschwerdeführerin als Unternehmerin/Verkäuferin beweisen, dass die Vertragswidrigkeit bei der Lieferung noch nicht vorgelegen, sondern Grund oder Ursache in einem nach Lieferung eingetretenen Umstand habe. Beides gelinge vorliegend nicht. Das Sachverständigengutachten führe konkret aus, dass eine Zeitbestimmung für den Flüssigkeitseintritt nicht möglich sei.
Die Beschwerdeführerin erhob hiergegen Gehörsrüge. Sie beanstandete die Nichterteilung eines Hinweises durch das Amtsgericht im Hinblick auf seine geänderte Rechtsauffassung zur Beweislast. Durch den unterbliebenen Hinweis sei es ihr nicht möglich gewesen, vor Urteilsverkündung Beweis dafür anzubieten, dass die verkaufte Sache bei Gefahrübergang noch mangelfrei gewesen sei. Dies hätte insbesondere A. bezeugen können, der das Gerät vor Verkauf untersucht habe. Das Amtsgericht Nördlingen verwarf die Gehörsrüge mit Beschluss. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör seien nicht hinreichend dargelegt. Selbst wenn man davon ausginge, dass das Gericht auf die Änderung der Beweislastverteilung (die sich aus der jüngsten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union unzweideutig ergebe) hätte hinweisen müssen, hätte dies auf das Verteidigungsverhalten der Beschwerdeführerin keine erkennbaren Auswirkungen gehabt, da der einzige Weg des Bestreitens des Mangels zur Einholung eines Sachverständigengutachtens geführt hätte. Dies sei erfolgt. Jedenfalls habe die Beschwerdeführerin die Entscheidungserheblichkeit nicht innerhalb der Frist zur Gehörsrüge ausreichend vorgetragen. Beweisangebote et cetera hätten im streitigen Verfahren erfolgen müssen. Die Beschwerdeführerin sei jedoch auch zum Termin der mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
Das Urteil des Amtsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Das Amtsgericht hat – ohne Erteilung eines vorherigen Hinweises – seinem Urteil nicht die in der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2015 geäußerte Rechtsauffassung zur Beweislast zugrunde gelegt. Auch wenn das Gericht in der mündlichen Verhandlung lediglich eine „vorläufige“ Einschätzung geäußert hat, ändert dies nichts daran, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich auf das Fortbestehen der Rechtsauffassung des Gerichts vertrauen und deshalb von eigenen Beweisangeboten absehen durfte.
Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann zwar grundsätzlich durch das weitere Verfahren geheilt werden. Eine Heilung des Gehörsverstoßes im Anhörungsrügeverfahren ist jedoch nicht erfolgt. Soweit das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 11. Juli 2016 ausführt, dass Beweisangebote im streitigen Verfahren hätten erfolgen müssen, steht dies im klaren Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 321a ZPO, die Ausdruck des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ist.
Das angegriffene Urteil beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Denn es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Beachtung des rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für die Beschwerdeführerin günstigeren Entscheidung geführt hätte. Dass mit der Einvernahme des von der Beschwerdeführerin benannten Zeugen A. nicht die Ordnungsmäßigkeit des Laptops im Zeitpunkt des Gefahrübergangs hätte belegt werden können, wird vom Amtsgericht nicht dargelegt.
Vorliegend hat die festgestellte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör besonderes Gewicht, da die angegriffenen Entscheidungen die aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen leichtfertig verkennen. Die Gehörsverletzung wird durch das Anhörungsrügeverfahren zudem noch intensiviert.