Schlussanträge zu Emissionsgrenzwerten für Prüfungen im praktischen Fahrbetrieb

10. Juni 2021 -

Nach Ansicht von Generalanwalt Bobek sollte der Europäische Gerichtshof zu den Aktenzeichen C-177/19 P, C-178/19 P, C-179/19 P die Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts, mit dem die von der Kommission im Anschluss an den „Dieselgate“-Skandal für Prüfungen im praktischen Fahrbetrieb festgelegten exzessiven Stickstoffoxidemissionsgrenzwerte für nichtig erklärt wurden, zurückweisen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 102/2021 vom 10.06.2021 ergibt sich:

Die Kommission hat die von Parlament und Rat erlassenen bestehenden Emissionsgrenzwerte in rechtswidriger Weise geändert.

Im Jahr 2016 führte die Kommission als Reaktion auf den „Dieselgate“-Skandal ein Prüfverfahren zur Messung der Emissionen im praktischen Fahrbetrieb (real driving emissions – „RDE“) ein, um das bisherige Laborverfahren zu ergänzen. Es sollte damit auf die Feststellung reagiert werden, dass das letztgenannte Verfahren nicht die tatsächlichen Schadstoffemissionen im praktischen Fahrbetrieb widerspiegelte. In diesem Kontext erließ die Kommission eine Verordnung (Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20. April 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 6), ABl. 2016, L 109, S. 19 – im Folgenden: Änderungsverordnung), in der sie verbindliche Emissionsgrenzwerte für Stickoxide festlegte, die bei den neuen RDE-Prüfungen nicht überschritten werden dürfen. Diesen müssen die Hersteller leichte Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge insbesondere im Zusammenhang mit der Typgenehmigung neuer Fahrzeuge unterziehen. Die Kommission hat diese Grenzwerte festgelegt, indem sie auf die Euro-6-Grenzwerte in der Typgenehmigungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge) Berichtigungskoeffizienten angewandt hat, die statistischen und technischen Ungenauigkeiten Rechnung tragen sollen. So wurde z. B. für einen Euro-6-Grenzwert von 80 mg/km der Grenzwert für die RDE-Prüfungen für eine Übergangszeit auf 168 mg/km und danach auf 120 mg/km festgelegt.

Die Städte Paris, Brüssel und Madrid beanstandeten die von der Kommission festgelegten Emissionsgrenzwerte und erhoben jeweils Nichtigkeitsklage vor dem Gericht der Europäischen Union.

Mit Urteil vom 13. Dezember 2018 (Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2018, Ville de Paris/Kommission, T-339/16, Ville de Bruxelles/Kommission, T-352/16, und Ayuntamiento de Madrid/Kommission, T-391/16) gab das Gericht diesen Klagen statt und erklärte die Änderungsverordnung für nichtig, soweit darin zu hohe Emissionsgrenzwerte für Stickoxide festgelegt wurden. Das Gericht entschied im Wesentlichen, dass die Kommission, indem sie diese Werte zu hoch festgesetzt habe, die vom Parlament und vom Rat erlassene Euro-6-Norm de facto geändert habe, wozu sie nicht befugt gewesen sei.

Die Kommission, Deutschland und Ungarn haben gegen das Urteil des Gerichts jeweils ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt.

In seinen heutigen Schlussanträgen prüft Generalanwalt Michal Bobek zunächst, ob das Gericht zu Recht entschieden hat, dass die Städte Paris, Brüssel und Madrid berechtigt gewesen seien, die Gültigkeit der in der Änderungsverordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte vor dem Gericht anzufechten. Insoweit weist er darauf hin, dass die Klagen dieser Städte als zulässig angesehen werden könnten, wenn die Änderungsverordnung sie zum einen unmittelbar betreffe und, wenn zum anderen dieser Rechtsakt für diese Städte gelte, ohne dass der Erlass von Durchführungsmaßnahmen erforderlich wäre.

In diesem Zusammenhang ist der Generalanwalt zu der Auffassung gelangt, dass das Gericht zu Unrecht angenommen habe, dass diese Städte von der Änderungsverordnung in Verbindung mit der Typgehmigungsrahmenrichtlinie (Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge) unmittelbar betroffen seien. Hierzu hebt er hervor, dass die Richtlinie nur die technischen, produktbezogenen Normen, die für die Typgenehmigung zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens des Fahrzeugs festzulegen seien, regele. Sie solle jedoch lokale Behörden nicht daran hindern, Maßnahmen zu ergreifen, die die spätere Verwendung von Fahrzeugen und deren Teilnahme am Verkehr in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet, insbesondere aus Gründen des Umweltschutzes, regeln. Daher könne eine örtliche Regelung, die die betreffenden Städte einführen könnten, um den Verkehr von Fahrzeugen in bestimmten Gebieten zu beschränken, nicht gegen die Richtlinie verstoßen, und zwar auch dann nicht, wenn in dieser Regelung eventuell auf strengere Emissionswerte als die für die Euro-6-Norm verwendeten abgestellt werde.

Der Generalanwalt ist jedoch der Ansicht, dass sich die Änderungsverordnung auf die Art und Weise auswirke, wie kommunale Gebietskörperschaften im Bereich des Umweltschutzes und des Schutzes der öffentlichen Gesundheit ihre spezifischen Befugnisse rechtmäßig ausüben und ihre Verpflichtungen erfüllen könnten, die sich aus dem Unionsrecht ergeben könnten, wenn sie die Luftverschmutzung bekämpfen und angemessene Normen für die Luftqualität gewährleisten. Die Bandbreite der Maßnahmen, die von diesen Gebietskörperschaften zu treffen seien, um diese Befugnisse auszuüben und diese Verpflichtungen einzuhalten, und die Art und Weise, wie diese Maßnahmen umgesetzt werden müssen, werde als unmittelbare Folge der Änderungsverordnung zwangsläufig erheblich eingeschränkt. Daher betreffe die Änderungsverordnung die drei in Rede stehenden Städte unmittelbar.

Da der Generalanwalt die Feststellung des Gerichts bestätigt, dass die Änderungsverordnung für die drei betreffenden Städte gilt, ohne dass der Erlass von Durchführungsmaßnahmen erforderlich wäre, kommt er zu dem Ergebnis, dass die Klagen dieser Städte gegen die Änderungsverordnung zulässig seien.

Was die Begründetheit der Klagen betrifft, ist der Generalanwalt der Ansicht, dass die in der Typgenehmigungsverordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte für Stickoxide ein wesentliches Element dieses Rechtsakts darstellten. Daher seien nur die Verfasser der Typgenehmigungsverordnung, nämlich das Parlament und der Rat, befugt gewesen, die Emissionsgrenzwerte zu ändern. Der Kommission fehle hierfür die Befugnis. In diesem Zusammenhang kommt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass das Gericht keinen Fehler begangen habe, als es davon ausgegangen sei, dass die Kommission mit der Änderungsverordnung die in der Typgenehmigungsverordnung festgelegte 6-Euro-Norm de facto geändert habe.

Unter diesen Umständen schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof vor, die Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.