Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen strafrechtliche Verurteilung wegen fehlender Angaben zum Zugangszeitpunkt der fachgerichtlichen Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat am 29.04.2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 1543/20 eine Verfassungsbeschwerde gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen fehlender Angaben zum Zugangszeitpunkt der fachgerichtlichen Entscheidung nicht zur Entscheidung angenommen.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 41/2021 vom 20.05.2021 ergibt sich:

Das Verfahren betrifft eine strafrechtliche Verurteilung, der eine Verständigung nach § 257c StPO vorangegangen war. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert zur Fristwahrung vorgetragen hat. Ob der die Revision verwerfende Beschluss des Bundesgerichtshofs mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Zustandekommen einer Verständigung in Einklang zu bringen ist, ist jedoch zweifelhaft.

Sachverhalt:

In dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer unterbreitete der Kammervorsitzende zu Beginn der Beweisaufnahme einen Verständigungsvorschlag, dem der Beschwerdeführer zustimmte. Die Staatsanwaltschaft gab keine ausdrückliche Zustimmungserklärung ab. Auf Grundlage des Verständigungsvorschlags legte der Beschwerdeführer ein Geständnis ab, und das Landgericht legte dem Urteil die Verständigung zugrunde. Mit der Revision rügte der Beschwerdeführer, die Verständigung sei verfahrensfehlerhaft gewesen. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision, ohne zu den Verfahrensrügen auszuführen. Er folgte damit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, der es als ausreichend erachtete, dass sich „unzweifelhaft“ eine „eindeutige (konkludente) Zustimmungserklärung“ aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Verfahrensgang ergebe. Insbesondere folge die Zustimmung hier aus dem Einverständnis der Staatsanwaltschaft mit einer Verfahrensabtrennung, weil diese in Zusammenhang mit dem verständigungsbasierten Geständnis des Beschwerdeführers gestanden habe. Zudem habe die Staatsanwaltschaft eine Strafe beantragt, die sich im Rahmen des Verständigungsvorschlages gehalten habe. Jedenfalls beruhe das Urteil nicht auf dem gerügten Verfahrensverstoß, weil der Beschwerdeführer so gestellt worden sei, als wenn die Verständigung wirksam gewesen wäre.

Der Beschwerdeführer macht die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren durch eine willkürliche Anwendung der Vorschriften zur Verständigung im Strafprozess geltend.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

  1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, denn der Beschwerdevortrag genügt den Substantiierungs- und Begründungsanforderungen nicht.
  2. a) Die allgemeine Begründungslast verlangt von einem Beschwerdeführer im Zweifelsfall die schlüssige Darlegung, dass die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde eingehalten ist. In Strafsachen werden Entscheidungen regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben. Daher ist substantiierter Vortrag zu allen Zugangszeitpunkten jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Die Regelung des § 37 Abs. 2 StPO zu mehrfachen Zustellungen findet im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung.
  3. b) Der Beschwerdeführer legt hier jedoch nur dar, wann die Entscheidung des Bundesgerichtshofs seinem im Revisionsverfahren mandatierten Verteidiger zugegangen ist. Vortrag dazu, ob und wann ihm selbst die Entscheidung bekanntgegeben wurde, lässt er vermissen. Es kann daher nicht ohne weitere Ermittlungen überprüft werden, ob der Beschwerdeführer die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten hat. Die verbleibenden Unsicherheiten führen zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde.
  4. Es spricht allerdings viel dafür, dass der die Revision des Beschwerdeführers verwerfende Beschluss des Bundesgerichtshofs den verfassungsrechtlichen Vorgaben an das wirksame Zustandekommen einer Verständigung nicht gerecht geworden ist.
  5. a) Eine Verständigung kommt nur wirksam zustande, wenn Staatsanwaltschaft und Angeklagter einem Verständigungsvorschlag des Gerichts zustimmen. Die Vorgaben hinsichtlich der Transparenz des Verständigungsverfahrens erfordern dabei, dass Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Verständigungsvorschlag ausdrücklich – und nicht lediglich konkludent – zustimmen. Die mit einer konkludenten Zustimmung einhergehenden Unsicherheiten über das Zustandekommen einer Verständigung ließen Raum für „informelle“ Absprachen und „Deals“, die schon von Verfassungs wegen untersagt sind. Ein Urteil wird dabei nur in Ausnahmefällen nicht darauf beruhen, dass das erkennende Gericht bei einer verfahrensrechtswidrig nur konkludent erklärten Zustimmung von einer wirksamen Verständigung ausgegangen ist. Bei einem Verstoß gegen das im Zusammenhang mit den Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes stehende Zustimmungserfordernis ist das Beruhen nicht alleine unter dem Gesichtspunkt der Einwirkung auf das Aussageverhalten eines Angeklagten zu beurteilen. Das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung steht auch im Zusammenhang mit der Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit.
  6. b) Es erscheint zweifelhaft, ob die Revisionsentscheidung sich mit diesen Maßstäben in Einklang bringen lässt, weil die herangezogenen Prozesserklärungen der Staatsanwaltschaft nicht verfassungsrechtlich tragfähig als hinreichend bestimmte, ausdrückliche Zustimmungserklärungen gewertet werden können. Es ist zum Schutz eines Angeklagten unzulässig, auf Prozesserklärungen abzustellen, die zeitlich erst nach dem im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnis abgegeben wurden. Das Gebot der Verfahrensfairness erfordert, dass der Angeklagte sich zum Zeitpunkt des Geständnisses sicher sein kann, dass ihm die strafprozessualen Regelungen zur Verständigung Schutz bieten. Zudem enthalten hier weder die Zustimmung zur Verfahrensabtrennung noch der Strafantrag ausreichend konkrete Hinweise auf eine Zustimmung zur Verständigung. Der Zustimmung zu einer Verfahrensabtrennung kann kein Erklärungsinhalt dahingehend entnommen werden, dass dem Verständigungsvorschlag zugestimmt werde, denn ein inhaltlicher Bezug der Verfahrensabtrennung zur vorangegangenen Verständigung ist vorliegend nicht erkennbar. Der Strafantrag im Schlussvortrag des Staatsanwalts lässt sich ebenfalls nicht als Zustimmungserklärung werten. Unabhängig davon, dass schon vor dem Schlussvortrag Klarheit über das Vorliegen einer Verständigung bestehen muss, gibt es keinen Grundsatz, dass sich nach einer gescheiterten Verständigung die Strafe oder – vorangehend – der Strafantrag der Staatsanwaltschaft nicht im Rahmen eines Verständigungsvorschlages bewegen dürfe. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem ein Beruhen auszuschließen ist, dürfte somit nicht vorliegen.