Das Oberlandesgericht Frankfurt hat am 24.03.2021 zum Aktenzeichen 7 U 44/20 entschieden, dass die Frage des Krankenversicherers bei Vertragsabschluss einer privaten Krankheitskostenversicherung nach bestehenden „Anomalien“ in Bezug auf Zahnfehlstellungen unklar ist und nicht zum nachträglichen Ausschluss der Kostenübernahme für kieferorthopädische Behandlungen berechtigt.
Aus der Pressemitteilung des OLG Frankfurt Nr. 24/2021 vom 14.04.2021 ergibt sich:
Die Parteien streiten um Erstattung von Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung der Tochter des Klägers. Der Kläger beantragte im März 2017 bei der Beklagten den Abschluss einer privaten Krankheitskosten- und Pflegeversicherung. Hinsichtlich seiner mitzuversichernden, neun Jahre alten Tochter beantwortete er folgende Frage mit „nein“: Bestehen/bestanden in den letzten 3 Jahren Beschwerden, Krankheiten, Anomalien (auch Implantate (zum Beispiel Brustimplantate) und/oder Unfallfolgen…), die nicht ärztlich …behandelt wurden?
Die Tochter des Klägers befand sich seit 2011 in regelmäßiger zahnärztlicher Kontrolle. Unstreitig lag bei ihr ein Engstand der Backenzähne vor. Im Sommer 2017 erlitt die Tochter des Klägers einen Unfall, bei dem sie sich einen Zahn abbrach. Im Zusammenhang mit dieser Behandlung wurde die Indikation für eine kieferorthopädische Behandlung gestellt; im Heilbehandlungs- und Kostenplan der Kieferorthopädin vom November 2017 heißt es u.a. „Platzmangel im UK (Unterkiefer), Scherenbiss Zahn 24, diverse Rotationen und Kippungen“.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der dem Kläger bekannte Engstand der Backenzähne seiner Tochter habe eine anzeigepflichtige „Anomalie“ im Sinne der Antragsfrage dargestellt. Bei Kenntnis hätte sie den Vertrag nicht einschränkungslos angenommen, sondern einen Leistungsausschluss für die kieferorthopädische Behandlung vereinbart. Dementsprechend sei der Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung nachträglich anzupassen.
Der Kläger hat sich demgegenüber darauf berufen, dass er erstmals im Sommer 2017 von der Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung Kenntnis erlangt habe. Auf eine solche habe zuvor nichts hingedeutet; insbesondere auch nicht der Engstand der Backenzähne.
Das Landgericht hatte die Klage auf Erstattung von Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG Frankfurt überwiegend Erfolg, das Oberlandesgericht hat die Krankenversicherung zur Übernahme von kiefernorthopädischen Aufwendungen verurteilt.
Die Beklagte sei nicht zur Vertragsanpassung unter Aufnahme eines Risikoausschlusses für die Behandlung von Zahnfehlstellungen/Anomalien berechtigt gewesen, entschied das OLG. Der Kläger habe keine Anzeigepflichten verletzt. Soweit bei seiner Tochter ein Engstand der Backenzähne vorgelegen und ihm bekannt gewesen sei, sei dies nicht anzeigepflichtig gewesen. Es handele sich nicht um eine „Krankheit“. „Krankheit“ im versicherungsvertraglichen Sinne sei „ein anormaler Körper- oder Geisteszustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt“, führte das OLG aus.
Dass der Engstand hier zu einer solchen Störung körperlicher Funktionen führte, habe auch die Versicherung nicht behauptet.
Soweit die Versicherung meine, es liege eine „Anomalie“ vor, sei die Antragsfrage unklar. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei nicht erkennbar, was unter einer Anomalie im Zahnbereich zu verstehen sei. Gemäß der Definition im Duden verstehe man unter einer Anomalie eine Abweichung vom Normalen, eine körperliche Fehlbildung. Darunter dürfte der durchschnittliche Versicherungsnehmer eher eine Missbildung, eine Behinderung verstehen, als eine Zahn- und Kieferfehlstellung. Dafür spreche auch der Klammerzusatz, der auf Implantate verweise. Hinzu komme, dass dem Begriff der Anomalie eine gewisse Dauerhaftigkeit immanent sei, der Zahnstatus der neunjährigen Tochter des Klägers aufgrund fortschreitenden Wachstums und Zahnwechsels aber naturgemäß Änderungen unterworfen gewesen sei. Die Frage verlange jedenfalls dem Versicherungsnehmer in unzulässiger Weise eine Wertung ab.
Fragen, die eine Wertung des Versicherungsnehmers voraussetzten, seien grundsätzlich unzulässig. Sie könnten deshalb auch keine Anzeigepflicht begründen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig; die Revision hat der Senat nicht zugelassen.