Kritik der Neuen Richtervereinigung an Beschluss des AG Weimar zu Maskenpflicht an Schulen

13. April 2021 -

Die Neue Richtervereinigung (NRV) hat sich zu einem Beschluss des AG Weimar geäußert, bei dem ein Einzelrichter entschieden hatte, dass die Pflicht zum Maskentragen, zum Einhalten von Mindestabständen und zu Schnelltests an Schulen eine Gefahr für das geistige, körperliche oder seelische Wohl des Kindes darstellen.

Aus der Pressemitteilung der Neuen Richtervereinigung vom 12.04.2021 ergibt sich:

Richterliche Unabhängigkeit ist ein hohes Gut und deswegen verbietet es sich für richterliche Interessenverbände und Gewerkschaften in der Regel, richterliche Entscheidung in der Sache zu bewerten. Der Beschluss, mit dem das Familiengericht Weimar am 8. April 2021 Lehrern und Schulleitungen untersagt hat, eine Maskenpflicht für Schüler durchzusetzen, Mindestabstände vorzugeben und Schnell-Tests durchzuführen, überschreitet aus der Perspektive der Familienrichter und Familienrichterinnen der Neuen Richtervereinigung allerdings das Maß des noch Hinnehmbaren – nicht zuletzt weil die Entscheidung darin gipfelt, die Schulen dazu zu verpflichten, wieder Präsenzunterricht durchzuführen.

Die Neue Richtervereinigung hält die Entscheidung, obwohl auf 178 Seiten begründet, für juristisch unhaltbar. Sie verkennt ganz grundsätzliche rechtliche Vorschriften. Sie leugnet zudem wesentliche Erkenntnisse der Wissenschaft.

Das Familiengericht war schon nicht zuständig und deswegen in keiner Weise befugt, eine solche Anordnung zu erlassen. Anordnungen der Schulverwaltung zu Hygienekonzepten an einer Schule unterliegen allein der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte. Es sind Maßnahmen, die im Verhältnis des Staates (hier der Schulverwaltung) zu seinen Bürgern (hier Eltern und Schüler) getroffen werden. Das sind sogenannte öffentlich-rechtliche Maßnahmen, für deren Überprüfung in unserer Rechtsordnung allein die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Das lernt jeder und jede Jurastudent/in im Grundstudium. Das Amtsgericht Weimar nimmt demgegenüber an, es sei aufgrund des Gleichheitssatzes verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, solche Fragen den Verwaltungsgerichten zu überlassen, weil es dann davon abhinge, ob jemand einen Antrag stellt oder nicht. Das verkennt die grundlegende Gerichtsverfassung der Bundesrepublik – und ist in sich widersprüchlich, weil auch das familiengerichtliche Verfahren auf „Anregung“ einer Mutter zustande gekommen und daher von Amts wegen eingeleitet worden ist. Der Mutter stand es natürlich frei, sich mit ihrem Anliegen an das zuständige Verwaltungsgericht zu wenden. Hier wird auf Biegen und Brechen eine Zuständigkeit konstruiert, der man allzu deutlich das persönliche Anliegen anmerkt, sich zur Maskenpflicht in Schulen schlagkräftig zu äußern.

Noch dazu wird – wo in der Hauptsache die Einholung eines Sachverständigengutachtens zwingend geboten wäre – die eigene „Kenntnis“ einer fachfremden Materie gegen die ganz herrschende wissenschaftliche Meinung gesetzt. Das sind schwere handwerkliche Fehler- so darf man als Gericht nicht arbeiten.

In der Bewertung einer möglichen Kindeswohlgefährdung geht die Entscheidung an grundlegenden Erkenntnissen vorbei. Eine Kindeswohlgefährdung im Rahmen des § 1666 BGB ist auch bei allem Respekt vor abweichenden Meinungen mit diesem Sachverhalt nicht zu begründen. Hier scheint sich eher die Systematik der Wissenschaftsleugnung breit zu machen, als eine vernünftige Auseinandersetzung mit den medizinischen oder psychologischen Fragen: Die Auffassung von Pseudoexperten mit Minderheitsmeinungen wird als wissenschaftliche Erkenntnis dargestellt, Logikfehler und unerfüllbare Erwartungen an die Wissenschaft kommen vor, Informationen werden nur lückenhaft ausgewählt (Rosinenpickerei) und es wird unterstellt, dass von den öffentlichen Stellen keine vernünftigen Abwägungen vorgenommen werden (Verschwörungserzählung). Man sieht in den Gründen Elemente des PLURV – Phänomens, das die Entscheidung eher als Paradestück einer corona-zentrierten Wissenschaftsleugnung erscheinen lässt, denn als Zeichen einer vermeintlich streitbaren juristischen Haltung.

Die NRV hat bereits in der vergangenen Woche zur Kenntnis genommen, dass ein „Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte“ im Internet dazu auffordert, Familiengerichte mit Anträgen auf Schulschließungen anzurufen und die Situation diskutiert. Wir sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass derartige Verfahren von den Familiengerichten nicht einzuleiten sind: Sie sind erstens nicht zuständig, zweitens droht Kindern von den beschriebenen Maßnahmen der Schulen keine Gefahr.

Natürlich ist der Beschluss, wie andere gerichtliche Entscheidungen auch, in verfassungsrechtlicher Unabhängigkeit getroffen worden. Das bedeutet, dass mit der Entscheidung im rechtsstaatlichen System umgegangen werden muss. Dafür gibt es Rechtsmittel.