Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 26.03.2021 zum Aktenzeichen 6 L 368/21.WI den Eilanträgen zweier Schüler auf vorläufige Beschulung in ihren jeweiligen Jahrgangsstufen an der Humboldt-Schule in Wiesbaden im Wege des Wechselunterrichts stattgegeben.
Aus der Pressemitteilung des VG Wiesbaden Nr. 7/2021 vom 31.03.2021 ergibt sich:
Die beiden antragstellenden Schüler besuchen die 8. bzw. 10. Klasse der Humboldt-Schule in Wiesbaden. Schüler der Mittelstufe werden momentan ausschließlich im Distanzunterricht beschult. Eine ursprünglich zum 22.03.2021 geplante Aufnahme des Wechselunterrichts für die Jahrgänge 7-10 fand nicht statt. Mit ihrem Eilantrag begehrten die Schüler, sie zur Teilnahme am Wechselunterricht in ihren Jahrgangsstufen so lange zuzulassen, bis das Kultusministerium eine Konzeption erarbeitet habe, die die Mittelstufe beim Wechselunterricht berücksichtigt.
Die 6. Kammer des VG Wiesbaden gab diesem Eilantrag durch Beschluss vom 26.03.2021 statt.
Das Hessische Schulgesetzes gewähre grundsätzlich einen Anspruch der Schüler auf einen Schulbesuch im Wege des Präsenzunterrichts. Die nach derzeitiger Verordnungslage gegebene Ausgestaltung des Schulbetriebes – in Form von Distanzunterricht für die Jahrgangsstufen 7-10 – genüge diesem Anspruch nicht mehr. Die Corona-Einrichtungsschutzverordnung verstoße im Fall der Antragsteller gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Antragsgegner könne daher dem erhobenen Anspruch auf Zulassung von Wechselunterricht nicht die Regelungen der Corona-Einrichtungsschutzverordnung entgegenhalten.
Zwar folge aus dem Infektionsschutzgesetz die Ermächtigung, durch Rechtsverordnungen entsprechende Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Eine notwendige Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 könne auch die Schließung von Schulen sein. Allerdings müsse der Staat hierbei stets einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der Freiheit der einen und dem Schutzbedarf der anderen schaffen. Bei der Wahl der notwendigen Schutzmaßnahmen bestünde ein Spielraum für den Ausgleich der dabei widerstreitenden Grundrechte.
Gleichwohl könne dieser Spielraum mit der Zeit – etwa wegen besonders schwerer Grundrechtsbelastungen und wegen der Möglichkeit zunehmender Erkenntnis – geringer werden. Die gerichtliche Kontrolle beschränke sich darauf, ob sich der Staat (noch) innerhalb dieses Spielraums befinde.
Das Vorgehen des Antragsgegners zunächst und vorrangig die Jahrgänge 1 bis 6 sowie die Abschlussklassen im Rahmen des Präsenzunterrichts zu beschulen, möge noch nachvollziehbar sein. Der vollständige Ausschluss einzelner Jahrgangsstufen vom Präsenz- oder zumindest vom Wechselunterricht im Verhältnis zu anderen Jahrgangsstufen könne allerdings allenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden, innerhalb dessen der Antragsgegner ein schlüssiges Konzept für die Beschulung aller Jahrgangsstufen entwickeln müsse. Die Notwendigkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen sei fortlaufend von der zuständigen Behörde zu überprüfen. Ein ursprünglich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig zu qualifizierendes Vorgehen könne so mit zunehmender Dauer in eine Rechtswidrigkeit hineinwachsen.
Ein erhöhter Begründungsaufwand für den Ausschluss der Mittelstufe ergebe sich dabei bereits aus dem Umstand, dass diese – neben nicht erfolgtem Präsenzunterricht im Kalenderjahr 2020 – bereits seit dem Ende der Weihnachtsferien Anfang Januar 2021 vom Präsenz- und überdies auch vom Wechselunterricht ausgeschlossen seien. Die betroffenen Schülerinnen und Schüler hätten somit, im Vergleich zu ihren jüngeren sowie älteren Mitschülerinnen und Mitschülern, am längsten auf eine Rückkehr zumindest in einen eingeschränkten Präsenzbetrieb gewartet. Falls angesichts der vorhandenen Raumkapazität einer Schule nicht alle Jahrgänge gleichzeitig im Präsenzunterricht beschult werden könnten, müssten alle Jahrgänge von der bereits begonnenen Öffnung der Schulen dergestalt profitieren, dass allen die grundsätzliche Möglichkeit von Präsenz-, beziehungsweise Wechselunterricht, ggf. auch in Form von einer Art Schichtbetrieb, gewährt werde.
Ein Abstellen auf die landesweit gestiegenen Infektionszahlen sei keine ausreichende Begründung für die fortwährende Ungleichbehandlung der Mittelstufe, denn das Infektionsgeschehen sei in Hessen sehr unterschiedlich. Bei deutlich erhöhter Inzidenz könnten die örtlichen Kreisgesundheitsämter nach dem Infektionsschutzgesetz den Präsenzschulbetrieb einschränken.
Der Antragsgegner werde daher eine neue Regelung zu treffen haben, die die gleichheitswidrige Benachteiligung der Antragsteller beende. Es müsse dem Antragsgegner gelingen, ein Hygienekonzept für die Schulen zu entwickeln, und hierbei auch den neueren Möglichkeiten der Pandemiebekämpfung Rechnung zu tragen, wie einer Erhöhung der Impfquote der Bevölkerung, die Durchführung von Schnell- oder Selbsttests für Schülerinnen und Schüler sowie für das Lehr- und sonstige Schulpersonal oder auch der Verwendung von Luftfiltergeräten.
Um dem Bildungsanspruch der Antragsteller bereits jetzt zur Durchsetzung zu verhelfen und gleichheitswidrige Benachteiligung zu beenden, sei es notwendig, die Antragsteller mit der vorläufigen Zulassung von Wechselunterricht so zu stellen, wie dies derzeit schon für die Jahrgangsstufen 1 bis 6 vorgesehen sei. Es erfolge keine Begrenzung der einstweiligen Anordnung auf den Zeitpunkt des Außerkrafttretens der jeweils aktuellen Corona-Einrichtungsschutzverordnung, da nicht feststünde, ob nach den Osterferien 2021 eine Beschulung der Mittelstufe im Wechselunterricht stattfinden könne.
Gegen den Beschluss kann der Antragsgegner binnen zwei Wochen Beschwerde erheben, über die der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel zu entscheiden hätte.