Organstreitverfahren eines Landtagsabgeordneten wegen Änderung der Geschäftsordnung erfolglos

Der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg in Stuttgart hat am 19.03.2021 zum Aktenzeichen 1 GR 93/19 einen Antrag des der Fraktion der Alternative für Deutschland angehörenden Landtagsabgeordneten Klaus-Günther Voigtmann gegen den Landtag zurückgewiesen. Der Antragsteller hatte mit seinem Antrag geltend gemacht, vom Landtag am 18.07.2019 beschlossene Änderungen der Geschäftsordnung, unter anderem hinsichtlich der Frage, wer Alterspräsident des Landtags ist, verletzten verfassungsrechtlich gewährte Rechte.

Aus der Pressemitteilung des VerfGH BW vom 19.03.2021 ergibt sich:

Sachverhalt

  1. Der Landtag beschloss am 18. Juli 2019 Änderungen seiner Geschäftsordnung. Aufgrund des Beschlusses

– ist Alterspräsident des Landtags nicht mehr dessen (lebens-)ältestes Mitglied, sondern „die oder der Abgeordnete, die oder der dem Landtag am längsten angehört“,

– geht die Leitung der Verhandlung im Landtag im Fall der Verhinderung des Präsidenten und seiner Stellvertreter nicht mehr auf den anwesenden ältesten Abgeordneten, sondern „auf das anwesende Mitglied über, das dem Landtag am längsten angehört“,

– beruft nicht mehr das älteste Mitglied eines Ausschusses dessen erste Sitzung ein und leitet diese, sondern „das Mitglied des Ausschusses, das dem Landtag am längsten angehört“,

– leitet im Fall der Verhinderung des Ausschussvorsitzenden und seines Stellvertreters die Verhandlungen des Ausschusses nicht mehr das anwesende älteste Ausschussmitglied, sondern „das anwesende Mitglied, das dem Landtag am längsten angehört“.

  1. Die erste Plenarsitzung des 16. Landtags am 11. Mai 2016 leitete der damals lebensälteste Abgeordnete Kuhn bis zur Übernahme der Sitzungsleitung durch die gewählte Landtagspräsidentin. Seit dem Ausscheiden des Abgeordneten Kuhn aus dem Landtag ist der Antragsteller dessen lebensältestes Mitglied. Entsprechend der damals geltenden Fassung der Geschäftsordnung berief der Antragsteller im Mai 2016 die erste Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft ein und leitete diese bis zur Wahl des Vorsitzenden.
  2. Der Antragsteller ist insbesondere der Auffassung, die Änderungen der Geschäftsordnung verletzten ihn in seinen Rechten aus Art. 27 Abs. 3 und Art. 30 Abs. 3 der Landesverfassung. Er sei als lebensältestes Mitglied des Landtags nach der Landesverfassung dessen Alterspräsident. Das Amt erschöpfe sich nicht in der Tätigkeit bei der Konstituierung des Landtags, sondern dauere über die gesamte Wahlperiode an und umfasse die Vertretung des Landtagspräsidenten im Verhinderungsfall. Ihm sei durch die Änderung der Geschäftsordnung diese Position entzogen worden. Durch die Verfassung sei auch das Stellvertretungsrecht des lebensältesten Mitglieds eines Ausschusses garantiert.

Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs

Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag als teilweise unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

  1. Der Antrag ist unzulässig, soweit sich der Antragsteller dagegen wendet, dass Alterspräsident nicht mehr der (lebens-)älteste Abgeordnete ist und dass die erste Sitzung eines Ausschusses nicht mehr vom (lebens-)ältesten Mitglied des Ausschusses einberufen und geleitet wird. Es besteht insoweit keine Möglichkeit einer aktuellen Betroffenheit des Antragstellers in eigenen Rechten.

Zum Zeitpunkt der ersten Sitzung des Landtags am 11. Mai 2016 war der Antragsteller weder das lebens- noch das dienstälteste Mitglied des Landtags. Zum Zeitpunkt der Änderung der Geschäftsordnung waren auch die konstituierenden Sitzungen der Ausschüsse abgeschlossen.

Mit der Änderung der Geschäftsordnung wurde dem Antragsteller weiterhin nicht das in der Landesverfassung vorgesehene Amt des Alterspräsidenten entzogen. Das Amt ist kein Daueramt mit der Aufgabe der ständigen Vertretung des Landtagspräsidenten und seiner Stellvertreter im Fall von deren Verhinderung, sondern endet mit dem Abschluss der Aufgaben in der konstituierenden Sitzung des jeweiligen Landtags. Es ist durch seine funktionelle Notwendigkeit geprägt, die Wahl des Landtagspräsidenten durchzuführen, das Amt an den gewählten Präsidenten zu übergeben und dadurch die Arbeitsfähigkeit des Landtags herbeizuführen.

Der Antragsteller ist ferner kein Abgeordneter des künftigen 17. Landtags und kann sich daher nicht auf ihm potenziell als dessen Mitglied zustehende Rechte berufen. Es war zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht absehbar, ob der Antragsteller überhaupt lebensältestes Mitglied des 17. Landtags sein wird.

  1. Der Antrag ist unbegründet, soweit sich der Antragsteller dagegen wendet, dass die Sitzungsleitung im Plenum im Fall der Verhinderung des Landtagspräsidenten und seiner Stellvertreter nicht mehr vom lebensältesten Abgeordneten und die Sitzungsleitung im Ausschuss im Fall der Verhinderung des Ausschussvorsitzenden und seiner Stellvertreter nicht mehr vom anwesenden ältesten Ausschussmitglied übernommen wird.

Die beiden Reservefunktionen zielen allein auf die Aufrechterhaltung des Parlamentsbetriebs im Verhinderungsfall. Indem die Geschäftsordnung die Wahrnehmung der Reservefunktionen im Plenum und in den Ausschüssen künftig der Person mit dem höchsten Dienstalter und nicht wie zuvor dem höchsten Lebensalter zuweist, knüpft sie in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise an ein sachliches Kriterium an. Die Begründung des Vorschlags der Änderung stellt darauf ab, dass im Fall der Übernahme der Sitzungsleitung die parlamentarische Erfahrung einer oder eines Abgeordneten besonders wichtig sei. Damit soll die Neuregelung erkennbar dem verfassungsgemäßen Ziel einer effizienten und funktionalen Selbstorganisation des Landtags dienen.