Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat am 18.03.2021 zu den Aktenzeichen 20/21, 20 A/21 und 4/21 den Anträgen der ÖDP, der Piratenpartei, der Freien Wähler, der Tierschutzpartei und der Mieterschutzpartei auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der nach dem Landeswahlgesetz derzeit erforderlichen Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zu den Wahlen in Berlin am 26.09.2021 stattgegeben und festgestellt, dass die derzeitigen Regelungen des Landeswahlgesetzes verfassungswidrig sind.
Aus der Pressemitteilung des VerfGH Berlin Nr. 3/2021 vom 18.03.2021 ergibt sich:
Der Berliner Gesetzgeber hatte die erforderlichen Unterschriftenquoren mit Blick auf die Erschwernisse der persönlichen Kontaktaufnahme infolge der Corona-Beschränkungen bereits mit Gesetz vom 23. Februar 2021 um etwa 50 % gesenkt. Den antragstellenden Parteien reichte diese Absenkung nicht aus. Sie rügten eine Verletzung ihrer Rechte auf Chancengleichheit als Parteien und auf Wahlrechtsgleichheit.
Der Verfassungsgerichtshof sieht dies als begründet an.
Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verlangt, dass jede Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden.
Das Erfordernis der festgelegten Anzahl von Unterstützungsunterschriften greift in die Rechte auf Chancengleichheit und Gleichheit der Wahl ein, ist jedoch unter normalen Umständen zur Vermeidung einer Stimmenzersplitterung gerechtfertigt. Unter den außergewöhnlichen Bedingungen der Corona-Pandemie kann dies nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs jedoch nicht fortgelten.
Der Verfassungsgerichtshof stellt fest, dass den Parteien eine Unterschriftensammlung durch persönliche Kontaktaufnahme nicht zumutbar ist, solange die Corona-Beschränkungen weiter bestehen.
Das Werben um Unterschriften basiert maßgeblich auf dem persönlichen Kontakt und der spontanen Gesprächsaufnahme mit fremden Personen auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen und anlässlich von Veranstaltungen. Dies steht im Widerspruch zu den Zielen der Corona-Regelungen, deren hauptsächliches Anliegen es ist, einen Aufenthalt im öffentlichen Raum und eine persönliche Kontaktaufnahme zu haushaltsfremden Personen zu vermeiden.
Mit Blick auf die noch geringe Impfquote und die Gefahr durch Mutationen halten es die Verfassungsrichter*innen derzeit nicht für absehbar, dass sich das Infektionsgeschehen kurzfristig in dem Maße verbessert, dass Einschränkungen bei der Unterschriftensammlung nicht mehr zu erwarten sind. Die verbleibenden Alternativen des Unterschriftensammelns via Internet, insbesondere durch soziale Medien, sind deutlich weniger erfolgsversprechend. Aus diesem Grund geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass die Unterschriftenquoren derzeit erst bei einer Absenkung auf etwa 20 bis 30 % verfassungsgemäß sind.