Der Europäische Gerichtshof hat am 17.03.2021 zum Aktenzeichen C-900/19 entschieden, dass ein Mitgliedstaat eine Methode für den Fang von Vögeln, die zu Beifang führt, nicht erlauben darf, wenn der Beifang geeignet ist, den betreffenden Arten andere als unbedeutende Schäden zuzufügen.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 40/2021 vom 17.03.2021 ergibt sich:
Der traditionelle Charakter einer Methode für den Vogelfang wie die Jagd mit Leimruten reicht für sich genommen nicht aus, um nachzuweisen, dass diese Methode nicht durch eine andere zufriedenstellende Lösung ersetzt werden kann.
Die Vereinigung One Voice und die Ligue pour la protection des oiseaux wenden sich gegen den Gebrauch von Leimruten für den Vogelfang. Sie haben vor dem Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) die Regelung angefochten, die den Gebrauch von Leimruten in bestimmten französischen Departements zulässt. Dabei handelt es sich um fünf Verordnungen vom 24. September 2018 über den Gebrauch von Leimruten zum Fang von Drosseln und Amseln, die während der Jagdsaison in bestimmten französischen Departements als Lockvögel dienen sollen (JORF vom 27. September 2018, Texte Nrn. 10 bis 13 und 15), sowie eine Verordnung vom 17. August 1989 mit dem gleichen Gegenstand (JORF vom 13. September 1989, S. 11560). Zur Stützung ihrer Klagen machen die beiden Vereinigungen einen Verstoß gegen Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG (ABl. 2010, L 20, S. 7) geltend, insbesondere gegen ihren Art. 9, der die Anforderungen und Voraussetzungen für eine Abweichung der zuständigen Stellen u. a. von dem in Art. 8 und in Anhang IV Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehenen Verbot der Jagd mit Leimruten festlegt.
Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung der genannten Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie vorgelegt. Der Gerichtshof gibt in seinem Urteil klarstellende Hinweise zu der Möglichkeit der zuständigen Stellen, von dem in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehenen Verbot bestimmter Methoden für den Fang geschützter Vogelarten im Rahmen der Jagd abzuweichen.
Würdigung durch den Gerichtshof
Erstens entscheidet der Gerichtshof, dass Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der traditionelle Charakter einer Vogelfangmethode für sich genommen nicht ausreicht, um nachzuweisen, dass diese Methode nicht durch eine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne dieser Bestimmung ersetzt werden kann.
Zunächst weist er in seinem Urteil darauf hin, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass jeder Eingriff, der geschützte Arten betrifft, nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt wird, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird. Insoweit stellt er klar, dass eine nationale Regelung, mit der von einer Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht wird, die Anforderungen an die Begründungspflicht nicht erfüllt, wenn sie lediglich die Angabe enthält, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe, ohne diese Angabe durch eine eingehende, auf die besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gestützte Begründung zu untermauern.
Sodann hebt der Gerichtshof hervor, dass die traditionellen Jagdmethoden zwar eine nach der Vogelschutzrichtlinie zulässige „vernünftige Nutzung“ darstellen können; die Beibehaltung traditioneller Tätigkeiten stellt jedoch keine eigenständige Abweichung von der durch diese Richtlinie geschaffenen Schutzregelung dar.
Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass im Rahmen der Prüfung durch die zuständige Stelle, ob es keine anderen zufriedenstellenden Lösungen gibt, ein Vergleich der verschiedenen den Voraussetzungen der Ausnahmeregelung entsprechenden Lösungen vorzunehmen ist, um diejenige zu bestimmen, die als im größten Maße zufriedenstellend erscheint. Da die Union und die Mitgliedstaaten nach Art. 13 AEUV bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in bestimmten Bereichen den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung tragen müssen, ist die Frage, ob Alternativlösungen zufriedenstellend sind, anhand der sinnvollen Optionen und der besten verfügbaren Techniken zu beurteilen. Der Gerichtshof stellt fest, dass es offenbar solche Lösungen gibt. Wie er bereits entschieden hat, können die Aufzucht und die Fortpflanzung geschützter Arten in Gefangenschaft eine andere zufriedenstellende Lösung darstellen, und die Beförderung rechtmäßig gefangener oder gehaltener Vögel stellt ebenfalls eine vernünftige Nutzung dar. Insoweit ist der Umstand, dass Aufzucht und Fortpflanzung der betreffenden Arten in Gefangenschaft aufgrund der innerstaatlichen Regelung noch nicht in großem Umfang durchführbar sind, als solcher nicht geeignet, die Relevanz dieser Lösungen in Frage zu stellen.
Zweitens entscheidet der Gerichtshof, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die in Abweichung von Art. 8 der Richtlinie eine zu Beifängen führende Fangmethode erlaubt, sofern die Beifänge, auch wenn sie geringen Umfang haben und für begrenzte Zeit vorkommen, geeignet sind, den nicht zu den Zielarten gehörenden Exemplaren andere als unbedeutende Schäden zuzufügen.
Die Mitgliedstaaten können nämlich u. a. dann vom Verbot bestimmter Jagdmethoden abweichen, wenn diese Methoden es erlauben, bestimmte Vogelarten selektiv zu fangen. Insoweit sind bei der Beurteilung der Selektivität einer Fangmethode nicht nur ihre Modalitäten und der Umfang der mit ihr verbundenen Fänge von Vögeln, die nicht zu den Zielarten gehören, zu berücksichtigen, sondern auch ihre etwaigen Folgen für die gefangenen Arten unter dem Gesichtspunkt der den gefangenen Vögeln zugefügten Schäden.
Im Rahmen einer nicht tödlichen Fangmethode, die zu Beifängen führt, kann die Voraussetzung der Selektivität daher nur dann erfüllt sein, wenn die Beifänge begrenzten Umfang haben, d. h., wenn nur eine sehr geringe Zahl von Exemplaren während eines begrenzten Zeitraums versehentlich gefangen wird und wenn diese freigelassen werden können, ohne andere als unbedeutende Schäden zu erleiden. Der Gerichtshof hält es aber vorbehaltlich der letztlich vom Conseil d’État zu treffenden Feststellungen für sehr wahrscheinlich, dass die gefangenen Vögel, auch wenn sie gereinigt werden, irreparable Schäden erleiden, da Leimruten ihrem Wesen nach geeignet sind, das Gefieder aller gefangenen Vögel zu schädigen.