Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 14. Januar 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 2032/19 entschieden, dass die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus verfassungswidrig ist.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Freiburg – Jugendkammer – vom 4. Februar 2016 des sexuellen Missbrauchs eines Kindes, des Missbrauchs von Notrufen und der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten in Tateinheit mit Missbrauch von Notrufen und mit Vortäuschen einer Straftat schuldig gesprochen. Die Jugendkammer ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wobei sie von der Verhängung einer Jugendstrafe absah.
Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts Landau in der Pfalz – Zweigstelle Bad Bergzabern – und des Landgerichts Landau in der Pfalz verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, weil sie jedenfalls auf einer Verletzung des Gebots bestmöglicher Sachaufklärung beruhen.
Im Rahmen des „Gebotes der bestmöglichen Sachaufklärung“ besteht bei Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen.
Dies gilt in Sonderheit dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist.
Befindet sich der Untergebrachte seit langer Zeit in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus, ist es aber in der Regel geboten, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen und um auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen.
Vor dem Hintergrund dieser das Maßregelvollstreckungsverfahren generell beherrschenden verfassungsrechtlichen Vorgaben hat sich der Gesetzgeber entschlossen, das Freiheitsgrundrecht des in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten einfachrechtlich prozedural besonders abzusichern.
Die zu treffende Fortdauerentscheidung unterlag der Sollvorschrift des § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO, da die dort vorgesehene Drei-Jahres-Frist am 12. Februar 2019 abgelaufen war. Die Überprüfungsentscheidung hatte daher grundsätzlich auf der Grundlage eines externen Prognosegutachtens zu ergehen. Gründe für eine nur in engen Grenzen zulässige Ausnahme von der Sollvorschrift sind weder behauptet noch ersichtlich. Vor diesem Hintergrund sind die Fachgerichte selbst davon ausgegangen, dass eine externe Begutachtung des Beschwerdeführers rechtlich geboten war. Demgemäß waren aber auch die gesetzlichen Vorgaben für eine Gutachterauswahl nach § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO zu beachten. Insbesondere kam daher als Sachverständiger nicht in Betracht, wer „in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich die untergebrachte Person befindet“ (§ 463 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 StPO).
Bereits der Wortlaut von § 463 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 StPO spricht dafür, dass die bloße organisatorische und räumliche Unterteilung einer psychiatrischen Anstalt in einzelne fachspezifische Kliniken die Annahme desselben psychiatrischen Krankenhauses nicht ausschließt. Vielmehr wird auf das psychiatrische Krankenhaus in Gänze und nicht auf dessen einzelne Abteilungen abgestellt.
Zwar bleibt bei dem Begriff „Krankenhaus“ offen, ob damit der Krankenhausträger, das Krankenhaus als betriebliche Einheit oder die Betriebsform gemeint ist, in welcher ein Krankenhaus geführt wird. Vorliegend ist aber sowohl eine bauliche und betriebliche Einheit als auch ein gemeinsamer Krankenhausträger sowie eine übergeordnete gemeinsame Rechtsform mit einer eigenen, den einzelnen Kliniken übergeordneten Leitungs- und Verwaltungsebene gegeben, so dass von demselben „Krankenhaus“ auszugehen ist.
Dieses Ergebnis wird durch die systematische Auslegung der Norm bestätigt. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Bestellung eines Sachverständigen, der im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen war, bereits durch § 463 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 StPO ausgeschlossen wird. Käme es für die Anwendbarkeit von § 463 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 StPO darauf an, dass der Sachverständige in derselben fachspezifischen Klinik tätig ist, in der der Untergebrachte aktuell behandelt wird, verbliebe für diese Regelungsalternative regelmäßig nur ein eng begrenzter eigenständiger Anwendungsbereich. Dies spricht dafür, dass es im Rahmen dieser Regelungsalternative nicht auf die Zugehörigkeit zu der mit der Behandlung des Untergebrachten befassten Betriebseinheit, sondern allein auf die Zugehörigkeit zur die Maßregelvollstreckung betreibenden Unterbringungseinrichtung ankommt.
Nichts anderes ergibt sich mit Blick auf Sinn und Zweck der Norm. Diese ist darauf gerichtet, dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung Rechnung zu tragen. Durch die Heranziehung von anstaltsfremden Sachverständigen soll der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorgebeugt und ausgeschlossen werden, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten. Auch soll hierdurch eventuellen hierarchischen (Loyalitäts-)Konflikten, denen ein Sachverständiger unter Umständen ausgesetzt sein könnte, entgegengewirkt werden.
Zwar mag die Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen auch durch einen Sachverständigen, der innerhalb eines Klinikums einer anderen Fachklinik oder sonstigen Betriebseinheit als jener angehört, in der die Maßregel vollstreckt wird, in einem gewissen Umfang vermindert werden können. Es ist jedoch in diesem Fall nicht auszuschließen, dass betriebswirtschaftliche Belange der Anstalt oder persönliche Bekanntschaften mit den den Untergebrachten Behandelnden die Gutachtenerstellung beeinflussen. Hinzu kommt, dass es einer übergeordneten Vollzugsklinik dann möglich wäre, durch organisatorische und räumliche Maßnahmen die Voraussetzungen einer „externen“ Begutachtung eigener Probanden durch eigenes Personal zu schaffen.