Das Bundesverwaltungsgericht hat am 18.02.2021 zum Aktenzeichen 1 C 4.20 entschieden, dass von einem Ausländer, dem in einem Teil seines Herkunftslandes Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht, in Bezug auf die materiellen Existenzbedingungen vernünftigerweise bereits dann erwartet werden kann, sich an einem für ihn erreichbaren sicheren Landesteil niederzulassen (Ort des internen Schutzes nach § 3e AsylG), wenn sein wirtschaftliches Existenzminimum dort ohne Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewährleistet ist.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 13/2021 vom 18.02.2021 ergibt sich:
Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die allgemeinen Lebensverhältnisse im Herkunftsstaat auf einem niedrigen Niveau befinden. So hat das BVerwG am 18.02.2021 entschieden.
Der Kläger, ein nach eigenen Angaben 1996 geborener afghanischer Staatsangehöriger, stammt aus der Provinz Nangarhar. Sein im November 2015 gestellter Asylantrag und die nachfolgend erhobene Klage blieben ohne Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat die auf den subsidiären Schutz beschränkte Berufung zurückgewiesen, weil dem Kläger jedenfalls in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif interner Schutz zur Verfügung stehe. Diese Städte könne er legal und sicher erreichen, auch drohe ihm dort weder Verfolgung noch die Gefahr eines ernsthaften Schadens. Die Niederlassung dort sei für ihn zumutbar und könne daher von ihm auch „vernünftigerweise erwartet“ werden.
Maßstab hierfür sei, dass dort ein die Gewährleistungen des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC wahrendes Existenzminimum gewährleistet sei und auch keine anderweitige schwerwiegende Verletzung grundlegender Grund- oder Menschenrechte oder eine sonstige unerträgliche Härte drohe. Dies müsse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden können; die Bundesrepublik Deutschland trage insoweit die materielle Beweislast. Weitergehende Anforderungen an die Qualität der Lebensverhältnisse am Ort des internen Schutzes (z.B. ein auf Dauer gesichertes Leben zumindest etwas oberhalb des Existenzminimums) seien aus dem System des internationalen Schutzes nicht abzuleiten.
Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat den Maßstab des Berufungsgerichts bestätigt.
Ob eine Niederlassung in einem sicheren Landesteil bei umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar ist („vernünftigerweise erwartet werden kann„), erfordert neben der Abwesenheit einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden oder einer anderweitigen schwerwiegenden Verletzung grundlegender Grund- oder Menschenrechte u.a., dass das wirtschaftliche Existenzminimum des Ausländers unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lebensverhältnisse am Ort des internen Schutzes als auch seiner persönlichen Umstände gewährleistet ist. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür ist die Sicherung der Existenz auf einem Mindestniveau, das eine Verletzung des Art. 3 EMRK vermeidet. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Subsidiarität des externen internationalen Flüchtlingsschutzes gegenüber der internen Schutzgewähr im Herkunftsstaat, aus der Zielsetzung des internen Schutzes, Schutz vor flüchtlingsrechtlich relevanten Gefahren zu gewährleisten, sowie aus der Entstehungsgeschichte des § 3e AsylG und der durch diesen umgesetzten unionsrechtlichen Regelungen, die insoweit an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anknüpfen.
Für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bestand hier keine Veranlassung. Soweit teilweise darauf abgestellt wird, dass der Ausländer am Ort des internen Schutzes ein „(relativ) normales Leben“ führen können muss, weist dies angesichts des allgemeinkundig niedrigen Niveaus der allgemeinen Lebensverhältnisse in Afghanistan in der vorliegenden Konstellation nicht auf eine entscheidungserhebliche, durch den EuGH klärungsbedürftige Maßstabsdifferenz.