Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 01.02.2021 zum Aktenzeichen 2 BvQ 97/20 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verworfen, mit dem das Inkrafttreten des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Übk) verhindert werden sollte.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 13/2020 vom 03.02.2021 ergibt sich:
Der Antrag ist bereits unzulässig, weil die Antragstellerin weder substantiiert dargelegt hat, dass die Ratifikation sie in ihren Rechten verletzen könnte noch dass sie insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis besitzt.
Sachverhalt:
Die Antragstellerin mit Sitz in den Niederlanden gründete in der Slowakischen Republik eine Tochtergesellschaft, über die sie private Krankenversicherungen anbot. 2007 verbot die Slowakische Republik die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Das Verfassungsgericht der Slowakischen Republik erklärte das Verbot im Jahr 2011 für verfassungswidrig, worauf Gewinnausschüttungen wieder zugelassen wurden. Die Antragstellerin leitete daraufhin auf der Grundlage von Art. 8 des Abkommens über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen zwischen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik und dem Königreich der Niederlande ein Schiedsverfahren ein, mit dem sie von der Slowakischen Republik Ersatz ihrer Schäden infolge der gesetzlichen Regulierungsmaßnahmen begehrte. Das hierauf konstituierte Schiedsgericht legte Frankfurt am Main als Ort des schiedsgerichtlichen Verfahrens fest.
Das Schiedsgericht verurteilte die Slowakische Republik durch Schiedsspruch zur Zahlung von rund 22,1 Millionen Euro nebst Zinsen an die Antragstellerin wegen Verletzung verschiedener Bestimmungen des genannten Investitionsschutzvertrages durch die gesetzlichen Restriktionen der Liberalisierung des Krankenversicherungsmarktes. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wies die beantragte Aufhebung des Schiedsspruchs zurück. Hiergegen erhob die Slowakische Republik Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof. Dieser legte dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV verschiedene Fragen zur Vereinbarkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren auf der Grundlage bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vor. Mit Urteil vom 6. März 2018 entschied der Gerichtshof, dass Bestimmungen wie Art. 8 des gegenständlichen Investitionsschutzvertrages nicht mit Art. 267, Art. 344 AEUV vereinbar seien. Hierauf hob der Bundesgerichtshof den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main sowie den Schiedsspruch auf, was Gegenstand der von der Antragstellerin erhobenen Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 557/19 ist.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelangten vor dem Hintergrund des Urteils des Gerichtshofs zu der Ansicht, dass die unionsrechtliche Unwirksamkeit der Investor-Staat-Schiedsklauseln nicht auf den konkreten Investitionsschutzvertrag beschränkt sei, sondern sämtliche – insgesamt rund 200 – Intra-EU-Investitionsschutzverträge erfasse, auch wenn diese keine mit Art. 8 des dort streitgegenständlichen Investitionsschutzvertrages vergleichbare Regelung enthielten. Am 5. Mai 2020 wurde daraufhin ein Übereinkommen von 23 Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterzeichnet, welches die Beendigung von bilateralen Investitionsschutzverträgen unter Wegfall von Nachwirkungsklauseln vorsieht. In Art. 9 Übk enthält das Übereinkommen Regelungen zu einem „Strukturierten Dialog“ für anhängige Schiedsverfahren. Führt dieser Streitbeilegungsmechanismus nicht zum Erfolg, sieht Art. 10 Übk besondere Möglichkeiten zur Klage vor den Gerichten des Investitionsstaats vor. Von dem Übereinkommen erfasst ist auch das Abkommen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen zwischen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik und dem Königreich der Niederlande.
Der Deutsche Bundestag verabschiedete schließlich das erforderliche Zustimmungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Übk). Die Antragstellerin ist der Auffassung, sie werde durch die Ratifikation des Übereinkommens um den möglichen Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 557/19 gebracht.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
Die Antragstellerin hat nicht dargelegt, dass ihr durch die Ratifizierung des Übereinkommens schwere Nachteile im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG entstehen.
- Die Antragstellerin legt bereits nicht näher dar, inwiefern das Inkrafttreten des deutschen Zustimmungsgesetzes und die Ratifikation des Übereinkommens vom 5. Mai 2020 durch die Bundesrepublik Deutschland sie überhaupt betrifft bzw. mit irreversiblen schweren Nachteilen für sie verbunden ist. Nach Art. 4 Abs. 2 Übk werden die jeweiligen bilateralen Investitionsschutzverträge und Nachwirkungsklauseln wirksam beendet, sobald das Übereinkommen vom 5. Mai 2020 in Kraft tritt. Im Falle des Verfahrens 2 BvR 557/19 geht es um ein bilaterales Investitionsschutzabkommen zwischen dem Königreich der Niederlande und der Slowakischen Republik. Dessen Beendigung wird durch das deutsche Zustimmungsgesetz und die Ratifikation des Übereinkommens vom 5. Mai 2020 in keiner Weise berührt.
- Die Antragstellerin setzt sich auch nicht damit auseinander, weshalb die Inkraftsetzung der Übereinkunft vom 5. Mai 2020 ihre Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren 2 BvR 557/19 faktisch ins Leere laufen lassen sollte. In der Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren 2 BvR 557/19 rügt sie die Verletzung ihrer Rechte durch die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs und behauptet, durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. März 2018 von einem Ultravires-Akt betroffen zu sein.
Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich allerdings nicht nachvollziehbar, weshalb der Bundesgerichtshof auf Grund des Übereinkommens vom 5. Mai 2020 den ursprünglichen Schiedsspruch erneut aufheben müsste, sollte die Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren 2 BvR 557/19 erfolgreich sein. Diesbezüglich setzt sie sich weder mit den Regelungen zu den abgeschlossenen bzw. anhängigen Schiedsverfahren noch mit der Frage auseinander, welches die möglichen Rechtsfolgen wären, wenn das mit dem Schiedsspruch zunächst abgeschlossene Verfahren nach Erfolg der Verfassungsbeschwerde wieder als anhängiges Schiedsverfahren im Sinne der Übereinkunft vom 5. Mai 2020 anzusehen wäre. Insoweit legt Art. 7 Übk die Pflichten der Vertragsparteien im Hinblick auf anhängige Schiedsverfahren fest, während Art. 8 Übk Übergangsmaßnahmen und Art. 9 Übk ein Streitbeilegungsverfahren (strukturierter Dialog) vorsieht.
Kommt es in diesem nicht zu einer Einigung, eröffnet Art. 10 Übk unter bestimmten Möglichkeiten den Klageweg zu den nationalen Gerichten des Investitionsstaates. Die Antragstellerin legt auch nicht dar, weshalb mit diesen Verfahren ihren ausschließlich finanziellen Interessen nicht Rechnung getragen und eine mögliche Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG nicht weitgehend oder vollständig ausgeräumt werden könnte.