Ungarn hat gegen seine Verpflichtungen verstoßen, dafür Sorge zu tragen, dass in seinem gesamten Hoheitsgebiet der Tagesgrenzwert für PM10-Partikel eingehalten und der Zeitraum der Überschreitung dieses Grenzwertes so kurz wie möglich gehalten wird.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 12/2021 vom 03.02.2021 ergibt sich:
Die Kommission ist der Auffassung, dass Ungarn verschiedene Pflichten aus der Richtlinie über Luftqualität (Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa ABl. 2008, L 152, S. 1) verletzt hat und hat eine Vertragsverletzungsklage vor dem Gerichtshof erhoben. Konkret wirft die Kommission Ungarn eine systematische und andauernde Überschreitung der Tagesgrenzwerte für PM10-Partikel vor (PM10-Partikel sind Partikel, die einen größenselektierenden Lufteinlass gemäß der Referenzmethode für die Probenahme und Messung von PM10, EN 12341, passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 10 μm eine Abscheidewirksamkeit von 50 % aufweist); zum einen seit dem 1. Januar 2005 im Gebiet Budapest und im Sajó-Tal und zum anderen seit dem 11. Juni 2011 (mit Ausnahme des Jahres 2014) im Gebiet Pécs, und zwar bis einschließlich zum Jahr 2017 in allen drei betroffenen Gebieten. Zudem beantragt die Kommission die Feststellung einer Vertragsverletzung seit dem 11. Juni 2010, da Ungarn nicht seiner Verpflichtung nachgekommen sei, dafür zu sorgen, dass der Zeitraum der Überschreitung des in Rede stehenden Grenzwertes so kurz wie möglich gehalten wird.
In seinem heute ergangenen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der Umstand der Überschreitung des Tagesgrenzwertes für PM10-Partikel in der Luft an sich für die Feststellung einer Vertragsverletzung ausreicht. Trotz einer aus den gesammelten Daten ersichtlichen partiell rückläufigen Tendenz ist offensichtlich, dass von 2005 bis einschließlich 2017 der Tagesgrenzwert für PM10-Partikel in den betroffenen Gebieten sehr regelmäßig überschritten worden ist und daher diese Überschreitungen als systematisch und andauernd zu betrachten sind.
Was das Vorbringen Ungarns zu den angeblich erheblichen Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmutzung auf die Luftqualität in den betroffenen Gebieten anbelangt, weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber die geltenden Grenzwerte unter voller Beachtung dieses Umstands festgelegt hat. Jedenfalls können die für die Schadstoffausbreitung möglicherweise besonders ungünstigen topografischen und klimatischen Besonderheiten der betroffenen Gebiete Ungarn nicht von der Verantwortung für die Überschreitung der Grenzwerte für PM10-Partikel befreien. Vielmehr stellen diese Besonderheiten Umstände dar, die in den Luftqualitätsplänen zu berücksichtigen sind, die dieser Mitgliedstaat nach der Richtlinie für diese Gebiete erstellen muss, um den Grenzwert schnellstmöglich zu erreichen, falls dieser überschritten ist.
Sodann führt der Gerichtshof aus, dass zwar der bloße Umstand, dass in einem Mitgliedstaat die Grenzwerte für PM10-Partikel überschritten werden, nicht ausreicht, um festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen hat, Luftqualitätspläne zu erstellen, die geeignete Maßnahmen vorsehen und in diese Pläne einen Mindestgehalt an Informationen aufzunehmen − allerdings muss der Mitgliedstaat sicherstellen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten wird.
In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass Ungarn wohl Luftqualitätspläne erstellt und verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität ergriffen hat. Jedoch enthalten diese Pläne zum einen keine genauen Angaben zur erwarteten Verbesserung der Luftqualität und zu dem Zeitraum, der für die Verwirklichung der Ziele vorgesehen ist. Zum anderen erwähnen die Maßnahmen nicht den Zeitpunkt, zu dem die Einhaltung der Grenzwerte für PM10-Partikel in den betroffenen Gebieten gewährleistet werden wird und sehen mitunter einen Durchführungszeitraum vor, der sich über mehrere Jahre nach dem Inkrafttreten der Grenzwerte für PM10-Partikel erstrecken kann.
Folglich stellt der Gerichtshof fest, dass Ungarn offenkundig nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um zu gewährleisten, dass der Zeitraum der Überschreitung der Grenzwerte für PM10-Partikel in den betroffenen Gebieten so kurz wie möglich gehalten wird. Somit ist die Überschreitung der Tagesgrenzwerte für PM10-Partikel in diesen Gebieten über sechs bzw. acht Jahre systematisch und andauernd.
Unter diesen Umständen stellt der Gerichtshof sowohl in Bezug auf die Überschreitung des Tagesgrenzwerts für PM10-Partikel in den betroffenen Gebieten als auch in Bezug auf den Verstoß gegen die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass der Zeitraum dieser Überschreitung so kurz wie möglich gehalten wird, eine Vertragsverletzung Ungarns fest.