Der Verfassungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz hat am 28.01.2021 zum Aktenzeichen VGH O 82/20 und VGH A 83/20 die mit einem Eilantrag verbundene Organklage einer Partei zurückgewiesen, mit der diese geltend macht, der Gesetzgeber habe das Landeswahlrecht nicht ausreichend an die besonderen Umstände der Corona-Pandemie angepasst.
Aus der Pressemitteilung des VerfGH RP Nr. 1/2021 vom 29.01.2021 ergibt sich:
Bei der Antragstellerin handelt es sich um die Partei „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR), die nicht im Landtag von Rheinland-Pfalz vertreten ist. Das Landeswahlgesetz sieht vor, dass mit der Einreichung unter anderem von Landeslisten sog. Unterstützungsunterschriften beizubringen sind; für im Landtag oder Bundestag bereits vertretene Parteien gilt dieses Erfordernis nicht. Aus Anlass der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Auswirkungen auch für die Landtagswahl 2021 hat der Gesetzgeber in Rheinland-Pfalz die Anzahl der notwenigen Unterstützungsunterschriften durch eine Änderung des Landeswahlgesetzes angepasst, die am 22.12.2020 in Kraft getreten ist. Statt 2.080 Unterschriften sind aktuell 520 Unterschriften zur Einreichung einer Landesliste erforderlich (§ 35 Abs. 5 des Landeswahlgesetzes). Die Antragstellerin, die bis zum Ablauf der Einreichungsfrist das abgesenkte Unterschriftenquorum nicht erreicht hat, hält die Änderung des Landeswahlgesetzes für unzureichend. Sie begehrt die Feststellung des Verfassungsgerichtshofs, der Landesgesetzgeber habe ihr Recht auf Wahlchancengleichheit dadurch verletzt, dass er eine weitere Absenkung der Anzahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften nicht vorgenommen, hilfsweise eine solche Absenkung jedenfalls nicht geprüft habe. Ein gesetzgeberisches Unterlassen sei nicht hinnehmbar, da die Beschränkungen der ab dem 16.12.2020 geltenden 14. Corona-Bekämpfungsverordnung einem „absoluten Unterschriftensammelverbot“ gleichkämen. Durch den angeordneten Shutdown sei die herkömmliche Art der Unterschriftensammlung „auf der Straße“ für sie praktisch unmöglich geworden.
Der VerfGH RP hat die Anträge im Organstreitverfahren durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist die Organklage zulässig. Insbesondere könne die Antragstellerin, die sich gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers wende, nicht auf das zeitlich nachgelagerte Wahlprüfungsverfahren verwiesen werden. Die Wahlprüfungsbeschwerde entfalte eine Sperrwirkung nur hinsichtlich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezogener Entscheidungen und Maßnahmen. Richte sich ein Rechtsbehelf gegen den Erlass eines Wahlgesetzes oder – wie die Organklage der Antragstellerin – gegen ein entsprechendes gesetzgeberisches Unterlassen, stehe demgegenüber keine auf das Wahlverfahren bezogene Einzelentscheidung im Raum.
Die Anträge stellten sich jedoch als offensichtlich unbegründet dar. Ein die Rechte der Antragstellerin verletzendes Unterlassen des Gesetzgebers liege ersichtlich nicht vor. Der Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung des Wahlrechts insbesondere den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nach Art. 76 Abs. 1 der Landesverfassung zu beachten. Mit der Wahlrechtsgleichheit eng verknüpft sei das Recht von politischen Parteien und ihren Bewerbern auf Chancengleichheit. Jeder Partei seien grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten in Wahlkampf und Wahlverfahren und damit die gleichen Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen zu gewährleisten. Differenzierungen im Wahlrecht seien nur zulässig zur Erreichung von Gründen, die durch die Verfassung legitimiert und von hinreichendem Gewicht seien. Auch das Erfordernis einer gewissen Anzahl von Unterschriften für die Einreichung gültiger Wahlvorschläge stelle sich als eine Beschränkung der Wahlchancengleichheit dar. Ein solches Unterschriftenquorum sei jedoch sachlich gerechtfertigt, wenn und soweit es dazu diene, den Wahlakt auf ernsthafte Bewerber zu beschränken, dadurch das Gewicht der einzelnen Wählerstimmen zu sichern und so indirekt der Gefahr der Stimmenzersplitterung vorzubeugen.
Diesen Maßstäben werde das im Dezember 2020 aus Anlass der Corona-Pandemie geänderte Landeswahlgesetz gerecht. Dabei könne dahinstehen, ob eine Pflicht des Gesetzgebers zur Überprüfung und Anpassung des Wahlrechts überhaupt bestanden habe. Jedenfalls habe der Antragsgegner einer möglicherweise bestehenden Handlungspflicht mit der Änderung des Landeswahlgesetzes in verfassungskonformer Weise Rechnung getragen. Die zur Landtagswahl 2021 von ihm geschaffene Regelung bewege sich sowohl relativ (mit Blick auf die Intensität der Erleichterung) als auch absolut (hinsichtlich der tatsächlich noch erforderlichen Unterstützungsunterschriften) in dem von der Landesverfassung vorgegebenen Rahmen. Der Antragsgegner könne in seine Abwägungsentscheidung einerseits einstellen, dass auch unter den Bedingungen der Corona-Pandemie oder einer anderen außergewöhnlichen Notsituation die Ernsthaftigkeit von Wahlvorschlägen weiterhin gewährleistet werde. Andererseits habe er darauf zu achten, dass sich eine für bestimmte Parteien durch das Unterschriftenerfordernis bereits bestehende – wenn auch gerechtfertigte – Ungleichbehandlung in Zeiten der Pandemie nicht erheblich verstärke. Vor diesem Hintergrund biete weder die Absenkung des Unterschriftenquorums um 75% noch die absolute Zahl der 520 erforderlichen Unterstützungsunterschriften zur Einreichung einer Landesliste bei etwa 3 Mio. Wahlberechtigten in Rheinland-Pfalz Anlass für eine verfassungsrechtliche Beanstandung.
Daher könne die Antragstellerin ein weitergehendes Handeln des Gesetzgebers in Gestalt einer noch weiteren Absenkung oder gar vollständigen Abschaffung des Unterschriftenquorums nicht verlangen. Ein ihre Rechte verletzendes Unterlassen des Antragsgegners liege nicht vor.