Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 23.04.2020 zum Aktenzeichen 1 StR 391/19 entschieden, dass ein Rechtsanwalt auch rechtlich zweifelhafte Forderungen für seinen Mandanten geltend machen darf, ohne sich strafbar zu machen.
Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren auch gegen eine Rechtsanwältin eingeleitet und sodann sie eingeleitet und sodann Anklage erhoben.
Die Staatsanwaltschaft meint, dass deshalb, weil sie auch gegen den Mandanten Anklage wegen Betruges erhoben hat, die Rechtsanwältin das hohe Risiko einer Strafbarkeit billigend in Kauf genommen und gleichwohl ihre Mahntätigkeit fortgesetzt hat. Sie Staatsanwaltschaft meint, dass die Rechtsanwältin bereits bei Mandatsübernahme gewusst hat, dass es das Geschäftsmodell des Mandanten gewesen sei, die Kostenpflicht des Webseitenangebots durch unklare Preisangaben zu verschleiern und die Nutzer über die Entgeltlichkeit des Angebots zu täuschen, um die Forderung aus dem anfechtbaren Vertrag mittels anwaltlicher Mahnungen einzutreiben. Infolgedessen sei ihr auch bewusst gewesen, dass sich der Mandant wegen Betruges strafbar mache und sie diese Tat unterstütze.
Der Bundesgerichtshof hingegen sieht die subjektiven Voraussetzungen einer Beihilfe durch die anwaltliche Geltendmachung einer Forderung sind – vor dem Hintergrund der allgemeinen Grundsätze einer Strafbarkeit wegen Beihilfe durch berufstypische „neutrale“ Handlungen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 1 StR 636/16 Rn. 7 mwN) – als nicht tragfähig an.
Die Rechtsanwältin handelte im Rahmen ihrer spezifisch anwaltlichen Tätigkeit. Dazu gehört, für einen Mandanten auch rechtlich bedenkliche Forderungen geltend machen zu können, ohne sich selbst der Gefahr strafbaren Handelns ausgesetzt zu sehen. Denn die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung unterliegt unter dem Grundgesetz der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt ist Organ der Rechtspflege (vgl. §§ 1 und 3 BRAO) und dazu berufen, die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Sein berufliches Tätigwerden liegt im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege (so insgesamt BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2015 – 2 BvR 2558/14, 2 BvR 2571/14, 2 BvR 2573/14 Rn. 37 mwN). Diese – auch sein Selbstverständnis prägende – besondere Aufgabenstellung des Rechtsanwalts, dem es auch möglich sein muss, aus seiner Sicht zweifelhafte Forderungen geltend zu machen und gegebenenfalls gerichtlicher Prüfung zu unterziehen, hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht.