Das Sozialgericht Oldenburg hat mit Beschluss vom 21.01.2021 zum Aktenzeichen S 10 SV 1/21 ER entschieden, dass ein 73-jähriger Mann nicht vom niedersächsischen Gesundheitsministerium verlangen kann, ihm sofort eine Impfung gegen das Corona-Virus oder eine Durchführung der Impfung nach Abschluss der Impfungen in Alten- und Pflegeheimen zu verschaffen.
Aus der Pressemitteilung des SG Oldenburg vom 21.01.2021 ergibt sich:
Der Antragsteller leidet unter einer schweren Herzerkrankung und damit unter einer gesteigerten Gefährdung für einen schweren Verlauf im Falle einer Corona-Erkrankung. Seine Anfrage, bei dem für seinen Wohnort zuständigen Impfzentrum, wurde abschlägig beschieden und er wurde darauf hingewiesen, dass er nicht zu dem Personenkreis gehöre, für die gegenwärtig Impfungen durchgeführt werden. Der Antragsteller wandte sich daraufhin an das Niedersächsische Ministerium für Gesundheit, Soziales und Gleichstellung (Antragsgegner) und machte geltend, dass er einen Anspruch auf sofortige Impfung gegen das Corona-Virus habe, da er aufgrund seines Alters und der schweren Gesundheitsstörungen ein signifikant erhöhtes Risiko trage, nach einer Infektion mit dem Virus schwer zu erkranken oder zu versterben. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit dem Hinweis darauf ab, dass die gültige CoronaImpfV eine Impfung des Antragstellers erst ermögliche, sobald alle unter die Gruppe nach § 2 CoronaImpfV fallenden Personen (Schutzimpfungen mit höchster Priorität, 1. Gruppe) vollständig geimpft seien und erst danach eine Impfung der – wie der Antragsteller – unter § 3 CoronaImpfV fallenden Gruppe (Schutzimpfungen mit hoher Priorität, 2. Gruppe) erfolgen könne. Der Antragsgegner sei an diese in der CoronaImpfV vorgenommene Priorisierungsentscheidung des Verordnungsgebers gebunden. Der Antragsteller wandte sich im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zunächst an das VG Oldenburg, das den Rechtsstreit am 11.01.2021 an das SG Oldenburg verwies, weil es die Auffassung vertrat, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet sei.
Das SG Oldenburg hat den Eilantrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Sozialgerichts hat der Antragsteller nach der derzeit gültigen CoronaImpfV keinen Anspruch auf sofortige Impfung oder auf Impfung nach Abschluss der Impfungen in den Alten- und Pflegeheimen, da er nicht der zuerst zu impfenden Gruppe von Personen nach § 2 CoronaImpfV angehöre. Eine Öffnungsklausel, die es möglich machen würde, den Antragsteller, der auf Grund seines Alters der Gruppe nach § 3 CoronaImpfV zuzuordnen sei, im Rahmen einer Einzelfallentscheidung der Gruppe von Personen nach § 2 CoronaImpfV zuzuordnen, sei in der Verordnung nicht enthalten.
Es sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Wahrung der dem Gesetzgeber und der Exekutive nach Art. 2 und 3 GG obliegenden Schutzpflichten nicht zwingend erforderlich, für den Antragsteller die gewünschte vorgezogene Impfung sicherzustellen. Die vom Verordnungsgeber in den §§ 2-4 CoronaImpfV normierten Priorisierungsentscheidungen würden die Schutzpflichten hinreichend wahren. Der Gesetzgeber und auch die vollziehende Gewalt hätten bei der Ausgestaltung der Maßnahmen zur Erfüllung der Schutzpflichten aus dem Grundgesetz einen weiten Einschätzungs-, Bewertungs- und Gestaltungsspielraum, der Raum lasse, etwa mit dem Schutz des Individualinteresses konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. Die in der CoronaImpfV getroffenen Priorisierungsentscheidungen, zur Frage der Reihenfolge der Impfung gegen das Corona-Virus, hielten sich in diesem weiten Gestaltungsspielraum.
Teilhabeansprüche der Bürger könne der Gesetzgeber grundsätzlich nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel verwirklichen. Da gegenwärtig Corona-Impfstoffe noch nicht ausreichend verfügbar seien, sei es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber zunächst die in § 2 CoronaImpfV genannten Personen impfen würde. Einerseits würden die dieser Gruppe zuzuordnen Personen (über 80 Jahre) ein extrem hohes Risiko tragen, an einer Corona-Erkrankung zu versterben. Die priorisierte Impfung dieser Personengruppe diene nicht allein deren individuellem Schutz, sondern gerade auch in hohem Maße dem Schutz der Funktionsfähigkeit der medizinischen Versorgungseinrichtungen. Denn bei erkrankten Personen über 80 Jahren und in Pflegeeinrichtungen lebenden Menschen bestehe ein signifikant erheblich größeres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, sodass eine besondere Belastung der Intensivkapazitäten in den Kliniken zu erwarten sei. Die übrigen in der ersten Priorisierungsgruppe nach § 2 CoronaImpfV genannten Personen unterlägen individuell einem erhöhten Erkrankungsrisiko aufgrund ihrer pflegerischen Tätigkeiten und würden andererseits im Falle einer Erkrankung an dem Corona-Virus, die von ihnen betreuten besonders gefährdeten Personen zusätzlich gefährden. Ihr krankheitsbedingter Ausfall würde zudem ebenfalls die Funktionsfähigkeit der medizinischen Versorgungseinrichtungen gefährden.
Die in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom Antragsteller glaubhaft zu machende besondere Eilbedürftigkeit der Impfung sah das Sozialgericht ebenfalls nicht als hinreichend belegt an. Es sei dem Antragsteller zumutbar, sich vor einer Ansteckung durch verstärkte Schutzmaßnahmen und Kontaktvermeidung zu schützen und sich nach Möglichkeit ohne Kontakt zu dritten Personen in seinem Haus oder seiner Wohnung aufzuhalten. Dieses sei ihm auch deshalb zumutbar, weil er zeitnah mit einer Impfung rechnen könne. Er sei der Gruppe nach § 3 CoronaImpfV (2. Gruppe) zuzuordnen, für die nach Abschluss der laufenden Impfungen für die Personen nach § 2 CoronaImpfV (1. Gruppe) eine Impfung erfolgen würde.
Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht rechtskräftig.