Generalanwalt Bobek hat seine Schlussanträge zu der Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der einem Gericht ein Ermessen darüber eingeräumt wird, ob es Rechtsschutz, und gegebenenfalls in welcher Form, gegenüber einem Kläger gewährt, der geltend macht, die Behörden hätten eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt, obgleich die Klage (offensichtlich) begründet ist.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 14.01.2021 ergibt sich:
Ein irischer Muttersprachler, der einen Hund besitzt, für den er Tierarzneimittel kauft, beanstandet vor dem irischen High Court, dass die den Tierarzneimitteln beigefügten Angaben nur in Englisch und nicht in beiden Amtssprachen des Staates, also in Irisch und Englisch, erfolgten. Er ist der Ansicht, dass dies gegen die EU-Richtlinie 2001/82 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel verstoße. Der High Court hat bereits entschieden, dass der Kläger klagebefugt sei, da er sich gegenüber dem irischen Minister für Landwirtschaft, Ernährung und maritime Angelegenheiten, dem irischen Generalstaatsanwalt und Irland unmittelbar auf die fraglichen Richtlinienbestimmungen berufen könne. Der High Court stellte auch fest, dass Irland die Richtlinie hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe, da die fraglichen nationalen Bestimmungen es erlaubten, die Angaben nur in englischer Sprache bereitzustellen, anstatt sowohl Irisch als auch Englisch zu verlangen. Der High Court weist jedoch darauf hin, dass während des Verfahrens die EU-Verordnung 2019/6 über Tierarzneimittel erlassen worden sei, in der neue Bestimmungen über die Verwendung von Sprachen bei Tierarzneimitteln enthalten seien. Nach ihrem Geltungsbeginn (am 28.01.2022) sei es nach dieser Verordnung zulässig, die Angaben auf der Verpackung nur in englischer Sprache bereitzustellen. Vor diesem Hintergrund stellt sich der High Court die Frage, ob angesichts dieser bevorstehenden Änderung ein Urteil entsprechend dem vom Kläger gestellten Antrag, obgleich Irland gegen Unionsrecht verstoße, überhaupt sachdienlich sei. Im irischen Recht gebe es seit langer Zeit anerkannte Gründe, aufgrund deren die Gerichte die Befugnis hätten, nach Ermessen zu entscheiden, ob und wie einem erfolgreichen Kläger in sachdienlicher Weise Rechtsschutz zu gewähren sei.
Vor diesem Hintergrund möchte der irische High Court vom EuGH im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Verfahrensautonomie und des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehen, nach der die nationalen Gerichte über ein Ermessen bei der Entscheidung darüber verfügen, ob und gegebenenfalls in welcher Form sie einem Kläger, der geltend macht, dass die Behörden eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hätten, Rechtsschutz gewähren, wenn die Klage begründet ist.
Generalanwalt Bobek hat in seinen Schlussanträgen vom 14.01.2021 dem EuGH vorgeschlagen, dem irischen High Court wie folgt zu antworten:
– Das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Verfahrensautonomie und des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, steht einer nationalen Regelung oder Praxis nicht entgegen, nach der die nationalen Gerichte über ein Ermessen bei der Entscheidung darüber verfügen, ob und gegebenenfalls in welcher Form sie einem Kläger, der geltend macht, dass die Behörden eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hätten, Rechtsschutz gewähren, wenn die Klage begründet ist.
– Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage des Sachverhalts und des Kontexts jeder einzelnen bei ihm anhängigen Rechtssache sicherzustellen, dass zwischen der Art des geltend gemachten Rechts, der Schwere seiner Verletzung oder des erlittenen Schadens und der Art des begehrten Rechtsschutzes und demzufolge der von ihm gewährten (oder gegebenenfalls nicht gewährten) Abhilfe zugunsten des Klägers ein angemessenes Verhältnis besteht.
Im Rahmen ergänzender Hinweise führt Generalanwalt Bobek u.a. aus, dass, sollten sich die Klageanträge des Klägers als begründet erweisen, was vom High Court zu beurteilen sei, der Ausgang dieses Verfahrens kaum als gerecht und verhältnismäßig bezeichnet werden könnte, wenn er den Gerichtssaal verlassen müsste, ohne irgendetwas in der Hand zu haben. Der Generalanwalt fragt sich insoweit, ob – unter der Annahme, dass die Beurteilung des High Court in Bezug auf die Auslegung der betreffenden unionsrechtlichen Bestimmungen richtig sei – es nicht die geeignetste Form des Rechtsschutzes sein könnte, ihn durch die bloße Feststellung zu gewähren, dass die Richtlinie 2001/82 mit den fraglichen nationalen Vorschriften nicht ordnungsgemäß umgesetzt werde.