Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Beschluss vom 04.01.2021 zum Aktenzeichen 7 B 6300/20 entschieden, dass die Pflegekammer Niedersachsen eine Stellungnahme vom 25.11.2020, die sie im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens über ihre Abschaffung abgegeben hat, zurückziehen und die Veröffentlichung und Verbreitung dieser Stellungnahme unterlassen muss.
Aus der Pressemitteilung des VG Hannover vom 06.01.2021 ergibt sich:
Die Erklärung im Rahmen der Anhörung zum „Gesetz zur Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen“ erfülle nicht die Anforderungen an Sachlichkeit und Objektivität, so das Verwaltungsgericht.
Die Pflegekammer Niedersachsen ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Aufgabe u.a. die Wahrnehmung der beruflichen Belange von Pflegefachpersonen ist. In der Vergangenheit gab es kontroverse Diskussionen über die Gründung der Pflegekammer, ihre Tätigkeit und die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft. Die Rechtmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft war Gegenstand mehrerer gerichtlicher Verfahren (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 22.08.2019 – 8 LC 116/18, 8 LC 117/18). Eine Online-Befragung unter den ca. 78.000 Mitgliedern der Pflegekammer, an der ca. 15.100 Mitglieder teilnahmen, ergab, dass sich über 70% der Teilnehmer für die Abschaffung der Pflegekammer aussprachen. Daraufhin hat die Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niedersachsen ein Gesetzgebungsverfahren zur Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen eingeleitet.
Die Pflegekammer gab im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf des „Gesetzes zur Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen“ eine Stellungnahme ab, die sie auch auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Die Pflegekammer sprach sich darin entschieden für ihren Erhalt aus.
Die Antragstellerin, selbst Pflichtmitglied der Pflegekammer, forderte die Pflegekammer auf, die besagte Stellungnahme von deren Homepage zu entfernen, sie im Gesetzgebungsverfahren zurückzuziehen und die Stellungnahme nicht weiter zu verbreiten. Nachdem die Pflegekammer dies abgelehnt hatte, stellte die Antragstellerin einen Antrag auf vorläufigen Rechtschutz beim VG Hannover.
Das VG Hannover hat dem Antrag stattgegeben.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts und gestützt auf die in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg etablierten Grundsätze würden mehrere Äußerungen in der Stellungnahme den nach diesen Maßstäben an eine Berufskammer mit Pflichtmitgliedschaft zu stellenden Anforderungen an die Objektivität und Sachlichkeit nicht gerecht. Anders als bei privaten Interessenverbänden bringe es die Pflichtmitgliedschaft mit sich, dass ein Gesamtinteresse der Kammermitglieder vermittelt werden müsse, das durch Abwägung und Ausgleich auch widerstreitender Interessen zu ermitteln sei. Im Falle höchst umstrittener Fragen dürfe die Pflegekammer ihre Mehrheitsauffassung nicht apodiktisch mitteilen, sondern müsse zugleich die Minderheitsauffassung(en) offenlegen und die zur Mehrheitsauffassung führende Abwägung der verschiedenen Positionen erkennbar machen. Die streitgegenständliche Stellungnahme sei hingegen durch eine einseitige Darstellung und das Ausblenden von Gegenpositionen geprägt. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unter den Mitgliedern zu dem höchst umstrittenen Thema des Fortbestandes der Antragsgegnerin sei nicht erkennbar. Insbesondere erfolge die Darstellung der Auffassung derjenigen Mitglieder, die die Auflösung der Pflegekammer befürworten, nicht in ausreichendem Maße. Die Pflegekammer verlasse die Grenze der zulässigen Äußerung somit bereits, weil sie unterschlage, warum sich in der besagten Befragung ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Mitglieder gegen ihren Fortbestand ausgesprochen habe. Die Pflegekammer nenne vielmehr einseitig Argumente dafür, dass das Ergebnis der Online-Befragung nicht zur Grundlage der Entscheidung über ihre Auflösung gemacht werden solle und suggeriere ohne sachliche Anhaltspunkte, dass die nicht an der Abstimmung beteiligten Mitglieder sich für ihren Fortbestand entscheiden würden.
Die von dem Gericht als unzulässig erachteten Passagen seien untrennbar mit den weiteren Teilen der verfahrensgegenständlichen Stellungnahme verwoben. Schließlich stellten sich die Rechtsverstöße, die der Stellungnahme anhafteten, in dieser Konstellation als besonders schwerwiegend dar: Die Antragsgegnerin habe die Stellungnahme am 25.11.2020 veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt hätten bereits sowohl das VG Hannover als auch das OVG Lüneburg auf ein vorangegangenes einstweiliges Rechtschutzersuchen eine zuvor veröffentlichte Pressemitteilung der Antragsgegnerin, in der diese ebenfalls für ihren Fortbestand eingetreten sei, unter anderem wegen fehlender Sachlichkeit beanstandet und deren Entfernung von der Homepage angeordnet. Die Stellungnahme sei überdies ohne ausreichende Beteiligung der Kammerversammlung und deshalb unter Verstoß gegen maßgebliche Verfahrensvorschriften zustande gekommen.
Der Beschluss kann durch Beschwerde beim OVG Lüneburg angegriffen werden.