Das Screening auf spinale Muskelatrophie (SMA) wird Bestandteil der Früherkennungsuntersuchungen bei Neugeborenen: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 17.12.2020, das erweiterte Neugeborenen-Screening um die Untersuchung auf SMA zu ergänzen und damit eine schnelle Behandlung dieser seltenen neuromuskulären Erkrankung zu ermöglichen.
Aus der Pressemitteilung des G-BA vom 17.12.2020 ergibt sich:
Mit Hilfe einer Blutuntersuchung können künftig im Rahmen des Neugeborenen-Screenings insgesamt 16 angeborene Störungen des Stoffwechsels, des Hormon-, des Blut-, des Immunsystems und des neuromuskulären Systems frühzeitig entdeckt werden.
„Vor der Einführung einer neuen Früherkennungsuntersuchung muss der G-BA verschiedene Aspekte sorgfältig prüfen: Kann die Krankheit zuverlässig diagnostiziert werden? Hilft ein frühzeitiges Erkennen der Krankheit bei der weiteren Behandlung? Gibt es Therapiemöglichkeiten?“, so Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses Methodenbewertung. „Diese Fragen können wir insgesamt positiv beantworten: Für die spinale Muskelatrophie existiert ein sehr sicheres Nachweisverfahren. Werden Kinder mit spinaler Muskelatrophie früh behandelt, können sie nachweislich motorische Fähigkeiten wie Sitzen, Krabbeln, Stehen oder Gehen besser entwickeln. Für die schwerste Form der SMA stehen seit kurzem mit dem Arzneimittel Spinraza® und der Gentherapie Zolgensma® neue Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung – mit der Einschränkung, dass hier noch keine Langzeitstudien vorliegen. Der G-BA hat die Anwendung von Zolgensma® an hohe Qualitätsstandards geknüpft. Zudem werden wir vom Hersteller eine anwendungsbegleitende Datenerhebung fordern. Wir wollen sicherstellen, dass die jungen Patientinnen und Patienten optimal behandelt werden, wir aber gleichzeitig weitere Erkenntnisse über den langfristigen Nutzen der Behandlung gewinnen.“
Jährlich 80 bis 120 Neugeborene mit spinaler Muskelatrophie
Die spinale Muskelatrophie ist eine seltene, genetisch bedingte neuromuskuläre Erkrankung mit einem fortschreitenden Absterben von motorischen Nervenzellen im Rückenmark. Sie geht einher mit Muskelschwäche und Skelettverformungen und führt in der schwersten Form unbehandelt zum Tod. Jährlich werden in Deutschland ca. 80 bis 120 Kinder mit dieser genetisch bedingten Krankheit geboren, davon mindestens die Hälfte mit SMA Typ 1, der schwersten Form der SMA.
Ablauf des erweiterten Neugeborenen-Screenings
Das erweiterte Neugeborenen-Screening ist eine Blutuntersuchung, bei der Neugeborenen einige Tropfen Blut aus der Ferse entnommen werden. Sie soll möglichst zwischen der 36. und 72. Lebensstunde stattfinden.
Die Untersuchung auf SMA beruht auf dem Nachweis der sog. homozygoten SMN1-Gen-Deletion. Unter einer Deletion versteht man den Verlust eines Abschnittes in einem Gen auf der DNA. Zu einer schweren Ausprägung der Erkrankung kommt es vor allem dann, wenn durch beide Elternteile dieser Gendefekt vererbt wird. Man spricht dann von einer homozygoten Vererbung. Das SMA-Screening ist auffällig, wenn eine homozygote SMN1-Gendeletion nachgewiesen wird. Ein auffälliger Befund wird dann durch ein weiteres Diagnoseverfahren überprüft. In Abhängigkeit dieses Befundes wird über das therapeutische Vorgehen gemeinsam mit den Eltern fachärztlich entschieden.
Inkrafttreten und Anwendung
Der Beschluss, der die Kinder-Richtlinie ergänzt, tritt nach Nichtbeanstandung durch das Bundesministerium für Gesundheit und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Bei G-BA-Beschlüssen, die eine genetische Reihenuntersuchung regeln, ist die Sicht der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) einzubeziehen (§ 16 Abs. 2 Gendiagnostik-Gesetz). Diese wird dem G-BA im Nachgang zur Beschlussfassung übermittelt.
Um den Diagnostiklaboren genügend Zeit für die Implementierung einzuräumen, sind die beschlossenen Änderungen erst nach Ablauf von sechs Monaten ab ihrem Inkrafttreten anzuwenden. Innerhalb dieses Zeitraums müssen auch die Vertretungen von Ärzteschaft und Krankenkassen im Bewertungsausschuss über eine Abrechnungsziffer entscheiden. Der G-BA rechnet damit, dass die genannten Schritte im dritten Quartal 2021 abgeschlossen sind und dann das ergänzte Screening angeboten werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt die Kinder-Richtlinie in ihrer vor dem Inkrafttreten dieses Beschlusses geltenden Fassung.
Hintergrund Früherkennungsuntersuchungen
Kinder und Jugendliche haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gemäß § 26 SGB V Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, die ihre körperliche oder geistige Entwicklung in nicht geringfügigem Maße gefährden. Alle Früherkennungsmaßnahmen für Kinder, die als reguläre Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten werden, sind Bestandteil der Kinder-Richtlinie des G-BA.
Das Beratungsverfahren zum Neugeborenen-Screening auf 5q-assoziierte spinale Muskelatrophie geht zurück auf einen Antrag der Patientenvertretung im G-BA. Bei seinen Beratungen berücksichtigte der G-BA die Ergebnisse des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie einer Expertenanhörung.