Käsesorte Morbier: Umfang des Schutzes für geschützte Ursprungsbezeichnungen

17. Dezember 2020 -

Der Europäische Gerichtshof hat am 17.12.2020 zum Aktenzeichen C-490/19 entschieden, dass das Unionsrecht unter bestimmten Umständen die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds verbietet, die oder das für ein Erzeugnis charakteristisch ist, das von einer geschützten Ursprungsbezeichnung erfasst wird.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 168/2020 vom 17.12.2020 ergibt sich:

Es sei zu prüfen, ob diese Wiedergabe den Verbraucher irreführen könne, und dabei seien alle maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen, einschließlich der Modalitäten, unter denen das Erzeugnis der Öffentlichkeit angeboten und vermarktet werde, sowie des tatsächlichen Kontexts, so der EuGH.

Der „Morbier“ ist ein Käse, der im Jura-Massiv (Frankreich) hergestellt wird und seit dem 22.12.2000 eine geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) trägt. Er ist durch einen schwarzen Streifen gekennzeichnet, der den Käse horizontal in zwei Hälften teilt. Dieser schwarze Streifen, der ursprünglich aus einer Kohleschicht bestand und heutzutage aus pflanzlicher Kohle besteht, wird in der Beschreibung des Erzeugnisses, die in der Spezifikation der g.U. enthalten ist, ausdrücklich genannt. Die Société Fromagère du Livradois SAS, die Morbier-Käse seit 1979 herstellt, ist nicht in dem geografischen Gebiet ansässig, dem die Bezeichnung „Morbier“ vorbehalten ist. Seit Ablauf eines Übergangszeitraums verwendet sie daher für ihren Käse die Bezeichnung „Montboissié du Haut Livradois“. 2013 verklagte das Syndicat interprofessionnel de défense du fromage Morbier (berufsübergreifender Verband zur Verteidigung des Morbier-Käses, im Folgenden: Verband) die Société Fromagère du Livradois vor dem Tribunal de grande instance de Paris (Gericht erster Instanz Paris, Frankreich). Nach Ansicht des Verbands verletzt die Société Fromagère du Livradois die geschützte Ursprungsbezeichnung und begeht dadurch unlautere und rufausnutzende Handlungen, dass sie einen Käse herstelle und vertreibe, der das äußere Erscheinungsbild, u.a. den schwarzen Streifen, des unter die geschützte Ursprungsbezeichnung „Morbier“ fallenden Erzeugnisses übernehme.
Seine Klage wurde abgewiesen. Mit einem 2017 erlassenen Urteil bestätigte die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) diese Abweisung. Nach Ansicht dieses Gerichts sollen mit einer geschützte Ursprungsbezeichnung nicht das Erscheinungsbild eines Erzeugnisses oder dessen Eigenschaften geschützt werden, sondern sein Name, so dass sie nicht verbiete, ein Erzeugnis nach denselben Techniken herzustellen. Der Verband legte daraufhin gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein. Unter diesen Umständen ersucht die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) den Gerichtshof um Auslegung der jeweiligen Art. 13 Abs. 1 der Verordnungen Nrn. 510/2006 (Verordnung (EG) Nr. 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl. 2006, L 93, 12) und 1151/2012 (Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl. 2012, L 343, 1), die den Schutz eingetragener Namen betreffen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Übernahme der physischen Merkmale eines von einer geschützten Ursprungsbezeichnung geschützten Erzeugnisses ohne Verwendung des eingetragenen Namens eine Praktik darstellen kann, die geeignet ist, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des Erzeugnisses irrezuführen, was von Art. 13 Abs. 1 Buchst. d der genannten Verordnungen verboten wird. Der EuGH hat damit zum ersten Mal die Gelegenheit, diese Art. 13 Abs. 1 Buchst. d auszulegen.

Der EuGH hat entschieden, dass die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d der Verordnungen Nrn. 510/2006 und 1151/2012 nicht nur die Verwendung eines eingetragenen Namens durch einen Dritten verbieten. Zudem verbieten die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d dieser beiden Verordnungen die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds, die bzw. das für ein Erzeugnis charakteristisch ist, das von einem eingetragenen Namen erfasst wird, wenn diese Wiedergabe den Verbraucher zu der Annahme veranlassen kann, dass das fragliche Erzeugnis von diesem eingetragenen Namen erfasst wird. Insoweit sei zu prüfen, ob diese Wiedergabe den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Verbraucher irreführen könne, und dabei seien alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, einschließlich der Modalitäten, unter denen die betreffenden Erzeugnisse der Öffentlichkeit angeboten und vermarktet werden, sowie des tatsächlichen Kontexts.

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass die Art. 13 Abs. 1 der Verordnungen Nrn. 510/2006 und 1151/2012 eine abgestufte Aufzählung verbotener Verhaltensweisen enthalten und nicht lediglich die Verwendung des eingetragenen Namens selbst verbieten. Obwohl die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnungen nicht spezifisch die verbotenen Verhaltensweisen festlegten, erfassen sie somit weitgehend alle Verhaltensweisen, die nicht durch die Art. 13 Abs. 1 Buchst. a bis c verboten werden und dazu führen könnten, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des betreffenden Erzeugnisses irrezuführen.

Was sodann die Frage betreffe, ob die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds eines Erzeugnisses, das von einem eingetragenen Namen erfasst werde, eine solche Praktik darstellen könne, die geeignet sei, den Verbraucher irrezuführen, sei der Gegenstand des von den Verordnungen Nrn. 510/2006 und 1151/2012 vorgesehenen Schutzes zwar der eingetragene Name und nicht das mit ihm benannte Erzeugnis. Der Zweck dieses Schutzes bestehe deshalb nicht darin, die Verwendung von Herstellungstechniken oder die Wiedergabe einer oder mehrerer charakteristischer Eigenschaften, die in der Spezifikation eines Erzeugnisses genannt werden, das von einem eingetragenen Namen erfasst werde, deshalb zu verbieten, weil sie in dieser Spezifikation aufgeführt seien.

Geschützte Ursprungsbezeichnungen werden allerdings insoweit geschützt, als sie ein Erzeugnis bezeichnen, das eine bestimmte Güte oder bestimmte Eigenschaft aufweise. Somit seien die geschützte Ursprungsbezeichnung und das von ihr erfasste Erzeugnis eng miteinander verbunden. Daher sei nicht auszuschließen, dass die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds eines Erzeugnisses, das von einem eingetragenen Namen geschützt werde, ohne dass dieser Name auf dem fraglichen Erzeugnis oder auf seiner äußeren Verpackung erscheine, in den Anwendungsbereich der Art. 13 Abs. 1 Buchst. d fallen könne. Dies sei dann der Fall, wenn diese Wiedergabe geeignet sei, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des fraglichen Erzeugnisses irrezuführen.

Für die Beurteilung, ob dies der Fall ist, sei u. a. zu prüfen, ob ein Bestandteil des Erscheinungsbildes des Erzeugnisses, das von dem eingetragenen Namen erfasst werde, eine besonders unterscheidungskräftige Referenzeigenschaft dieses Erzeugnisses darstelle, so dass dessen Wiedergabe in Verbindung mit allen maßgeblichen Umständen des Einzelfalls den Verbraucher zu der Annahme veranlassen könne, dass das Erzeugnis, das diese Wiedergabe enthält, von diesem eingetragenen Namen erfasst werde.