Grenzübergreifender Zugang zu Pay-TV-Inhalten

Der Europäische Gerichtshof hat am 09.12.2020 zum Aktenzeichen C-132/19 P eine Entscheidung der Kommission für nichtig erklärt, mit der Verpflichtungszusagen von Paramount zur Wahrung des Wettbewerbs auf den Märkten für bindend erklärt wurden.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 157/2020 vom 09.12.2020 ergibt sich:

Die für die Vertragspartner von Paramount, welches sich verpflichtet hat, bestimmte vertragliche Klauseln nicht einzuhalten, bestehende Möglichkeit, die nationalen Gerichte anzurufen, sei nicht geeignet, die Wirkungen auszugleichen, die die Entscheidung der Kommission, mit der die betreffenden Verpflichtungszusagen für bindend erklärt werden, auf die vertraglichen Rechte der Vertragspartner habe, so der EuGH.

Die Paramount Pictures International Ltd und ihre Muttergesellschaft, die Viacom Inc. (im Folgenden zusammen: Paramount) schlossen mit den größten Pay-TV-Sendeunternehmen der EU, u.a. der Sky UK Ltd und der Sky plc (im Folgenden zusammen: Sky) sowie der Groupe Canal + SA (im Folgenden: Groupe Canal +), Lizenzvereinbarungen über audiovisuelle Inhalte.
Die Europäische Kommission leitete am 13.01.2014 leitete eine Untersuchung zu möglichen Beschränkungen in Bezug auf die Bereitstellung von Pay-TV-Diensten im Rahmen der betreffenden Lizenzvereinbarungen ein, um zu prüfen, ob sie mit Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums (im Folgenden: EWR-Abkommen) vereinbar sind. Aufgrund dieser Untersuchung richtete die Kommission am 23.07.2015 an Paramount eine Mitteilung der Beschwerdepunkte. Diese betraf bestimmte Klauseln, die in den Lizenzvereinbarungen enthalten waren, die Paramount mit Sky geschlossen hatte.
Es ging um zwei verbundene Klauseln: Mit der ersten Klausel wurde Sky untersagt bzw. diese in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, unaufgeforderten Anfragen nach Pay-TV-Diensten von Verbrauchern nachzukommen, die zwar im EWR, aber außerhalb des Vereinigten Königreichs und Irlands ihren Wohnsitz haben. Mit der zweiten Klausel wurde Paramount verpflichtet, in ihre Vereinbarungen mit Sendeunternehmen, die ihren Sitz innerhalb des EWR, aber außerhalb des Vereinigten Königreichs haben, in Bezug auf derartige Anfragen von Verbrauchern mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich oder Irland ein entsprechendes Verbot aufzunehmen.
Die Kommission vertrat die Auffassung, dass die Lizenzvereinbarungen, die aufgrund solcher Klauseln zu einer absoluten territorialen Ausschließlichkeit führten, eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens darstellen könnten, da sie eine Wiederherstellung der Abschottung nationaler Märkte zur Folge hätten und dem Ziel des Vertrags zuwiderliefen, einen einheitlichen Markt zu schaffen. Mit Schreiben vom 04.12.2015 teilte die Kommission Groupe Canal + als interessierte Dritte diese Einschätzung sowie ein vorläufiges Ergebnis mit.
Um die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission auszuräumen, bot Paramount an, Verpflichtungen einzugehen. Das Unternehmen erklärte sich u.a. bereit, die in den von ihm mit den Sendeunternehmen geschlossenen Lizenzvereinbarungen enthaltenen Klauseln, die zu einem absoluten Gebietsschutz der Sendeunternehmen führen, nicht mehr einzuhalten und auch keine Klage zu erheben, um deren Einhaltung durchzusetzen.
Nachdem ihr die Stellungnahmen anderer interessierter Dritter, u.a. von Groupe Canal +, vorlagen, nahm die Kommission die Verpflichtungszusagen mit Beschluss vom 26.07.2016 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.40023 „Grenzübergreifender Zugang zu Pay-TV-Inhalten“; im Folgenden: streitiger Beschluss) an und erklärte sie gemäß Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2003, L 1, 1) für bindend. Paramount teilte Groupe Canal + daraufhin den Inhalt der für bindend erklärten Verpflichtungszusagen und deren Folgen mit, insbesondere, dass sie beabsichtige, nicht mehr darauf zu achten, dass die Groupe Canal + auf dem französischen Markt eingeräumte absolute territoriale Ausschließlichkeit gewahrt werde. Groupe Canal + vertrat die Auffassung, dass ihr solche Verpflichtungen, die im Rahmen eines Verfahrens eingegangen worden seien, das nur zwischen der Kommission und Paramount stattgefunden habe, nicht entgegengehalten werden könnten und erhob beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.
Das EuG hat die Klage mit Urteil vom 12.12.2018 (T-873/16 „Groupe Canal +/Kommission“) abgewiesen.

Der EuGH hat den Rechtsmittelanträgen von Groupe Canal + stattgegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben. Mit endgültiger Entscheidung des EuGH wird der streitigen Beschluss für nichtig erklärt.

Nach Auffassung des EuGH leidet die vom EuG vorgenommene Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung der Interessen Dritter durch den streitigen Beschluss unter Rechtsfehlern.

  1. Das EuG habe den Klagegrund, mit dem geltend gemacht wurde, dass die Kommission dadurch ihr Ermessen missbraucht habe, dass sie mit dem Erlass des streitigen Beschlusses das Gesetzgebungsverfahren zum Geoblocking umgangen habe, zu Recht zurückgewiesen. Insoweit billige der EuGH insbesondere die Feststellung des EuG, dass die Befugnisse, die der Kommission gemäß Art. 101 AEUV und der Verordnung Nr. 1/2003 zukommen, durch das Gesetzgebungsverfahren zum Geoblocking, solange dieses nicht zur Annahme eines Gesetzgebungsakts geführt habe, nicht berührt werden. Im vorliegenden Fall stehe aber fest, dass der streitige Beschluss vor Abschluss des betreffenden Gesetzgebungsverfahrens aufgrund der Befugnisse, die der Kommission nach den genannten Vorschriften zukommen, erlassen wurde.
  2. Das EuG habe auch das Vorbringen von Groupe Canal +, die einschlägigen Klauseln verstießen nicht gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV, so dass kein Grund für die Bedenken bestanden habe, wegen derer der streitige Beschluss erlassen worden sei, mit einer hinreichenden und rechtsfehlerfreien Begründung zurückgewiesen. Die betreffenden Lizenzvereinbarungen enthielten Klauseln, die darauf gerichtet waren, die grenzüberschreitende Erbringung von Rundfunkdiensten in Bezug auf die betreffenden audiovisuellen Inhalte zu unterbinden, und gewährten den Sendeunternehmen zu diesem Zweck einen durch wechselseitige Verpflichtungen garantierten absoluten Gebietsschutz. Die Feststellung des EuG, dass die einschlägigen Klauseln, vorbehaltlich einer Entscheidung, mit der nach einer eingehenden Prüfung endgültig festgestellt werde, ob ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliege oder nicht, geeignet seien, bei der Kommission wettbewerbsrechtliche Bedenken hervorzurufen, sei daher nicht zu beanstanden. Entsprechend sei auch darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit des betreffenden Verhaltens im Rahmen einer Entscheidung gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 um eine vorläufige Beurteilung handele. Deshalb habe das EuG auch zu Recht festgestellt, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV nur dann zum Tragen komme, wenn zuvor ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV festgestellt worden sei, und daraus zu Recht gefolgert, dass es im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung über Rügen, die sich auf die Tatbestandsmerkmale von Art. 101 Abs. 3 AEUV bezögen, nicht zu entscheiden habe.
  3. Der EuGH billigt die Annahme des EuG, dass die Kommission wegen der einschlägigen Klauseln berechtigterweise in Bezug auf den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum wettbewerbsrechtliche Bedenken gehabt habe und nicht verpflichtet gewesen sei, jeden einzelnen betroffenen nationalen Markt zu analysieren. Da die einschlägigen Klauseln eine Abschottung der nationalen Märkte bezweckten, habe das EuG zu Recht festgestellt, dass solche Vereinbarungen geeignet sein könnten, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gefährden, wodurch unabhängig von der Situation auf den nationalen Märkten eines der Hauptziele der Union konterkariert werde.
  4. Eingehend auf das Vorbringen, dem EuG sei bei der Beurteilung der Auswirkungen des streitigen Beschlusses auf die vertraglichen Rechte Dritter wie Groupe Canal + ein Rechtsfehler unterlaufen, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weist der EuGH zunächst darauf hin, dass die Kommission die angebotenen Verpflichtungszusagen im Rahmen von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht nur im Hinblick auf ihre Eignung, ihre wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen, sondern auch im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Interessen Dritter zu prüfen habe, deren Rechte nicht ausgehöhlt werden dürfen. Wie das EuG selbst festgestellt habe, sei es aber ein über die Bestimmungen von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 hinausgehender Eingriff in die Vertragsfreiheit eines Dritten, wenn die Kommission eine Verpflichtungszusage eines Wirtschaftsteilnehmers für bindend erklärt, die darin bestehe, bestimmte vertragliche Klauseln gegenüber einem an dem Verfahren nur als interessierter Dritter beteiligten Vertragspartner wie Groupe Canal + nicht anzuwenden, ohne dass dieser zugestimmt habe.

In diesem Zusammenhang ist der EuGH der Auffassung, dass das EuG solche Vertragspartner zur Durchsetzung ihrer vertraglichen Rechte nicht an die nationalen Gerichte verweisen durfte. Dies würde gegen Art. 16 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen, nach dem die nationalen Gerichte keine Entscheidungen erlassen dürfen, die einer vorausgegangenen Entscheidung der Kommission in der betreffenden Sache zuwiderlaufen. Denn eine Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der ein Wirtschaftsteilnehmer verpflichtet würde, Verpflichtungen, die mit einer Entscheidung der Kommission für bindend erklärt wurden, zuwiderzuhandeln, liefe der betreffenden Entscheidung der Kommission offensichtlich zuwider. Da die nationalen Gerichte es nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vermeiden müssen, Entscheidungen zu erlassen, die einer Entscheidung zuwiderlaufen, die die Kommission u.a. zur Anwendung von Art. 101 AEUV zu erlassen beabsichtigt, habe das EuG auch dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es angenommen habe, dass ein nationales Gericht feststellen könne, dass die einschlägigen Klauseln nicht gegen Art. 101 AEUV verstießen, obwohl die Kommission das Verfahren noch gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 wieder aufnehmen und, wie sie es ursprünglich vorhatte, eine Entscheidung erlassen könne, mit der formell festgestellt werde, dass eine Zuwiderhandlung vorliege.

Nach Auffassung des EuGH ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif. Er hat deshalb am Ende den Klagegrund geprüft, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht worden ist. Der EuGH folgert aus den Erwägungen, die die Aufhebung des angefochtenen Urteils rechtfertigen, dass die von den mit dem streitigen Beschluss für bindend erklärten Verpflichtungszusagen betroffenen Verpflichtungen, mit denen die territoriale Exklusivität der Sendeunternehmen garantiert werden soll, einen wesentlichen Bestandteil des wirtschaftlichen Gleichgewichts darstellen.
Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Kommission mit dem streitigen Beschluss die vertraglichen Rechte Dritter, darunter Groupe Canal +, gegenüber Paramount ausgehöhlt und damit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt habe, so dass der streitige Beschluss für nichtig zu erklären sei.

Das Urteil des EuGH gibt erneut Aufschluss über das Zusammenspiel der Befugnisse der Kommission und derjenigen der nationalen Gerichte bei der Durchführung der Wettbewerbsregeln der EU.