Nach Ansicht von Generalanwalt Priit Pikamäe führt die bloße Umleitung eines Fluges zu einem Ausweichflughafen, der in der Nähe des in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafens liegt, nicht zu einem Anspruch auf eine pauschale Ausgleichsleistung.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 154/2020 vom 03.12.2020 ergibt sich:
Die Fluggesellschaft müsse jedoch von sich aus anbieten, die Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahegelegenen, mit dem betroffenen Fluggast vereinbarten Zielort zu übernehmen, so der Generalanwalt.
Ein Fluggast von Austrian Airlines fordert von dieser Fluggesellschaft eine pauschale Ausgleichsleistung in Höhe von 250 Euro, weil sein Flug von Wien nach Berlin, der aufgrund einer Verspätung den Zeitpunkt überschritt, ab dem für den in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen (Berlin-Tegel) das Nachtflugverbot galt, zum Flughafen Berlin-Schönefeld umgeleitet wurde. Die Landung in Schönefeld erfolgte 58 Minuten später als ursprünglich in Tegel vorgesehen. Zudem ist Schönefeld 24 km, d.h. 41 Minuten von der Wohnung des Fluggasts entfernt, während die Entfernung zwischen Tegel und seiner Wohnung 8 km, d.h. 15 Minuten, beträgt. Austrian Airlines bot dem Fluggast keinen Ersatztransport von Schönefeld nach Tegel an. Austrian Airlines weigerte sich, die von dem Fluggast begehrte Entschädigung zu zahlen, und machte geltend, dieser sei mit einer Verspätung von lediglich 58 Minuten an sein Endziel, Berlin, gelangt und habe seine Wohnung problemlos unter Inanspruchnahme eines weiteren Verkehrsmittels vom Ausweichflughafen aus erreichen können.
Das mit dem Rechtsstreit befasste Landesgericht Korneuburg (Österreich) legte dem EuGH eine Reihe von Fragen nach der Auslegung der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004, ABl. 2004, L 46, 1) vor.
Generalanwalt Priit Pikamäe hat in seinen Schlussanträgen vom 03.12.2020, die einen Teil dieser Fragen betreffen, dem EuGH vorgeschlagen, zu entscheiden, dass dem Fluggast bei Landung eines Flugzeugs auf einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen, der sich an demselben Ort, in derselben Stadt oder in derselben Region wie Letzterer befindet, kein Ausgleichsanspruch wegen Annullierung des Fluges zusteht.
Nach Auffassung des Generalanwalts hat der Unionsgesetzgeber diesen Fall nicht als Annullierung angesehen. Ein Ausgleichsanspruch entstehe nur, wenn der Fluggast wegen dieser Umleitung den in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder den anderen nahegelegenen, mit dem Luftfahrtunternehmen vereinbarten Zielort mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr erreiche. In diesem Rahmen müsse die Fluggesellschaft von sich aus dem Fluggast anbieten, die Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahegelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort zu übernehmen. Eine solche Übernahme sei nämlich in der Verordnung ausdrücklich vorgesehen, und der Fluggast, der sich an einem anderen Flughafen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen wiederfinde, sei in einer Situation, in der er Unterstützungsleistungen benötige.
Die Verletzung dieser Pflicht zur Übernahme der Transportkosten der Fluggäste zwischen dem Ankunftsflughafen und dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen (oder dem nahegelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort) verleihe dem Fluggast keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung, wie er ihn bei Annullierung oder Flugverspätung von drei Stunden oder mehr habe. Hingegen stehe dem Fluggast ein Anspruch auf Erstattung der Beträge zu, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen sollten, um dieses Versäumnis der Fluggesellschaft auszugleichen.