Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg hat am 27.11.2020 zum Aktenzeichen 3 R 226/20 entschieden, dass das in der Corona-Verordnung in Sachsen-Anhalt geregelte Verbot der Öffnung von Wettannahmestellen voraussichtlich rechtswidrig ist und hat daher diese Regelung vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Aus der Pressemitteilung des OVG SA Nr. 24/2020 vom 27.11.2020 ergibt sich:
Die Antragstellerin betreibt in Sachsen-Anhalt mehrere Wettannahmestellen, in denen sie Sportwetten an ein in Malta ansässiges Wettunternehmen vermittelt. Sie wendet gegen die Schließung von Wettannahmestellen in der Zeit vom 02. bis zum 30.11.2020 unter anderem ein, es sei mit höherrangigem Recht nicht vereinbar, dass die Landesregierung als Verordnungsgeber den Betrieb von Freizeit-, Spiel- und Vergnügungseinrichtungen vollständig untersage, ohne danach zu differenzieren, wie hoch das Infektionsrisiko in den einzelnen Betrieben überhaupt sei, zugleich aber gesellschaftlich als nützlich anerkannte Tätigkeiten weiterhin ermögliche, obwohl dort mitunter ein deutlich höheres Infektionsrisiko als in den untersagten Bereichen bestehe. In Wettannahmestellen sei allein ein mögliches Verweilen von Kunden mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Den damit verbundenen Gefahren könne mit einer Beschränkung des Aufenthalts in Wettannahmestellen auf den zur Abgabe der Wette notwendigen Zeitraum begegnet werden. Zudem würden in den Lotto- Annahmestellen des Landes neben Waren und/oder Dienstleistungen weiterhin Sport- sowie Ergebnis- und Auswahlwetten angeboten.
Der Antrag hatte nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO gebotenen summarischen Prüfung Erfolg.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass das in § 4a Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 der Achten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt in der Fassung vom 30.10.2020 (8. SARS-CoV-2-EindV) geregelte Verbot der Öffnung von Wettannahmestellen nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist und wegen der damit einhergehenden Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten für unwirksam zu erklären sein wird. Der mit dem Öffnungsverbot verbundene Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Betreiber von Wettannahmestellen genüge voraussichtlich nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zwar komme dem Verordnungsgeber in der gegenwärtigen durch zahlreiche Unsicherheiten geprägten epidemischen Lage bei der Beurteilung der Frage, welche Maßnahmen er für geeignet, erforderlich und angemessen halten darf, um das legitime Ziel der Vermeidung von neuen Infektionsketten und damit verbunden der Eindämmung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu erreichen, ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Es sei daher voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden, wenn er sich bei der Entscheidung, welche Lebensbereiche zum Zweck des Gesundheitsschutzes vordringlich geschlossen werden müssen, von der Priorität der Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens und des Bildungsbereichs leiten lasse und auch in diesen Bereichen bestehende Infektionsgefahren in einem gewissen Umfang in Kauf nehme. Allerdings müsse sich die konkret im Streit stehende Schutzmaßnahme schlüssig in das Gesamtkonzept einfügen, mit dem der Verordnungsgeber dem Infektionsgeschehen begegne. Dies sei gegenwärtig in Bezug auf Wettannahmestellen nicht der Fall.
Die Schließung von Wettannahmestellen sei zwar Teil eines Maßnahmenbündels, nach dem zahlreiche Kultur-, Freizeit-, Spiel- und Vergnügungseinrichtungen zu schließen sind, um freizeitorientierte Bewegungsströme der Bevölkerung zu regulieren bzw. im Wesentlichen zu stoppen und so das mit Sozialkontakten in diesen Bereichen verbundene Infektionsrisiko deutlich zu reduzieren. Die staatlichen Lotto-Annahmestellen seien aber nach wie vor geöffnet. Aufgrund der dort – neben einem Waren- und/oder Dienstleistungsangebot – eröffneten Möglichkeiten zur Abgabe von Wetten werde Kunden zumindest ein zusätzlicher Anreiz gegeben, diese Annahmestellen eigens aufzusuchen oder dort vor oder nach dem Konsum von Waren oder Dienstleistungen noch für die Dauer des Wettvorgangs zu verweilen. Gerade die durch derartige Anreize geschaffenen vermehrten sozialen Kontakte wolle der Verordnungsgeber mit der Schließung von Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen wie Wettannahmestellen aber an sich reduzieren. Es erscheine daher nicht widerspruchsfrei, wenn der Verordnungsgeber einerseits die vollumfängliche Schließung privater Wettannahmestellen bestimme, es andererseits aber trotz der damit verbundenen zusätzlichen sozialen Kontakte hinnehme, dass Kunden die Abgabe von Wetten in Annahmestellen von staatlichen Unternehmen ermöglicht werde. Das erklärte Ziel, das Infektionsgeschehen durch eine Verminderung der persönlichen Kontakte im Freizeit- und Vergnügungsbereich effektiv zu begrenzen, werde bei dieser gegenwärtigen Sachlage in Bezug auf die von Wettannahmestellen ausgehenden Kundenanreize gerade nicht konsequent verfolgt. Es sei vor diesem Hintergrund nach summarischer Betrachtung unverhältnismäßig, privaten Wettannahmestellen nicht zumindest – wie in einigen anderen Bundesländern – die Möglichkeit zu geben, ihren Betrieb dergestalt aufrechtzuerhalten, dass eine reine Abgabe von Wetten ohne darüber hinausgehendes Verweilen möglich sei.